
Ungarn: Orbans Modell vor dem Ende?
DW
Mit seiner Putin-freundlichen Haltung hat der ungarische Premier sein Land isoliert. Die EU könnte die Zahlung von Fördergeldern stoppen, Orbans Sozialmodell droht zu scheitern. Ungarn steht an einem Wendepunkt.
Seit mehr als einem Jahrzehnt hält Ungarns Premier Viktor Orban die Europäische Union in Atem. Brüssel hat bisher keinen Weg gefunden, Orbans antidemokratische Umgestaltung in Ungarn wirksam zu sanktionieren, sondern sich in Diskussionen über das Ob und Wie aufgerieben. Umgekehrt ist es Ungarns Premier immer wieder gelungen, die EU mit taktischen Spielchen hinzuhalten oder sie bei verschiedenen außen- oder haushaltspolitischen Fragen mit Vetos zu erpressen.
Nun allerdings könnte ein Wendepunkt für Orbans Regime gekommen sein - denn Ungarns Regierungschef erfährt an allen Fronten Gegenwind. Mit seinen Putin-freundlichen Positionen hat Orban Ungarn in der EU völlig isoliert und sich sogar mit seinem engsten Verbündeten Polen verkracht. In der Frage der Nicht-Auszahlung von Corona-Hilfen an Ungarn wegen Korruptionsvorwürfen ist Brüssel bislang unerwartet hart geblieben. Zugleich steht in den kommenden Monaten eine Entscheidung über Sanktionen gegen Ungarn nach dem neuen EU-Rechtsstaatsmechanismus an. Ein neues Rechtsgutachten kommt in diesem Zusammenhang zu dem Schluss, dass Brüssel die Möglichkeit hätte, Ungarn sämtliche Fördermittel zu streichen - Milliardensummen, die das Land dringender als je zuvor braucht.
Hinzu kommt: Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Ungarn vor einer schweren Wirtschaftskrise steht und Orbans kostspieliges Sozialmodell, mit dem er große Teile der Gesellschaft bei der Stange hält, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Zwar fuhren der ungarische Premier und seine Partei Fidesz im April einen historischen Wahlsieg ein. Dennoch könnte nun in der neuen außen- und innenpolitischen Konstellation der Anfang vom Ende des Orban-Modells gekommen sein.
Russlands Krieg gegen die Ukraine haben Viktor Orban und seine Regierung bis heute nicht eindeutig verurteilt - anders als alle anderen Regierungen in der EU. Mehr noch: In haarsträubender Tatsachenverdrehung sieht Orban die Verantwortung für den Krieg beim Westen. Vor wenigen Tagen sagte er in einer Rede, Westeuropa müsse einsehen, "dass es vielleicht jetzt nicht mehr das Ziel sein sollte, einen Krieg gegen Russland zu gewinnen, sondern endlich den Frieden zu schaffen".
Der EU warf Orban mehrfach vor, den Krieg zu finanzieren und nicht den Frieden. Im Westen sieht er "geschäftliche Kreise" am Werk, die "Kriegshetzer" seien, "symbolisiert" vom US-Börsenmilliardär George Soros. Immer wieder spricht sich Orban auch gegen antirussische EU-Sanktionen aus. Als der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill, auf eine EU-Sanktionsliste gesetzt werden sollte, legte die ungarische Regierung ihr Veto ein. Mit Erfolg - Brüssel strich den Patriarchen, der Kriegsverbrechen verherrlicht, von der Liste.