
Unfassbares Versagen
Frankfurter Rundschau
Altpapst Benedikt XVI. versetzt in einem fast jämmerlich zu nennenden Versuch der Selbstexkulpation sich selbst und seiner Kirche einen Vernichtungsschlag.
Karl Valentin hat nur fast recht: Zum sexuellen Missbrauch und seiner Vertuschung in der katholischen Kirche ist schon sehr viel gesagt worden. Von sehr vielen. Und tatsächlich ähneln die Erkenntnisse insbesondere der kirchlich beauftragten Gutachten und Studien einander: In dieser Kirche herrschte ein skrupelloses, gewissenloses und herzloses System des Institutionen- und Täterschutzes ohne jeden Sinn für die Opfer – von christlichen Glaubens- und Moralgrundsätzen einmal ganz zu schweigen.
Obwohl das alles mittlerweile hinlänglich bekannt ist, markiert das jetzt veröffentlichte Münchner Missbrauchsgutachten einen Tiefpunkt auf der Skala des Versagens, weil es – nur scheinbar paradox – auf die Spitze der Kirche und ihrer Hierarchie zielt, namentlich den früheren Papst Benedikt XVI., der als Kardinal Joseph Ratzinger in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising nach Darlegung der Gutachter den uneingeschränkten Einsatz eines als pädophil bekannten Priesters und damit weitere Missbrauchstaten ermöglicht hat. Der Geistliche hat durch die Jahrzehnte eine Spur der körperlichen und seelischen Verwüstung gezogen, erst in Essen, dann in München.
Sein Fall ist aber doch, könnte man sagen, nur ein einzelner, wenn auch besonders schrecklicher. Aber der Umgang dreier Kardinäle und ihrer engsten Mitarbeiter macht ihn eben auch zu einem exemplarischen. Und die Einlassung des greisen Ex-Papstes, die ein Sonderband des Gutachtens auf mehr als 80 Seiten dokumentiert, macht zudem auf bestürzende Weise deutlich, dass Benedikt – gewiss unterstützt von den üblichen Verdächtigen aus dem Metier der Kirchenrechtler und Medienanwälte – im Kern bis heute nicht verstanden hat, was Missbrauch bedeutet, worin das Versagen der Kirche liegt und dass das Elend durch Leugnen und Bestreiten immer nur verlängert wird.
Ähnlich wie der verstorbene Kölner Kardinal Joachim Meisner macht sein theologisches und kirchenpolitisches Idol Joseph Ratzinger für seine Person Unkenntnis und Nichtwissen geltend, ein „Nichts geahnt, nichts geahnt“ auf Bayerisch. Und wie bei Meisner wird man nun auch für Ratzinger sagen müssen: Er sagt nicht die Wahrheit und will sich ihr auch nicht stellen.
Wenn Benedikt wörtlich behauptet, der besagte Täter sei in seinem priesterlichen Wirken „tadellos“ gewesen und habe seine widerlichen Vergehen nicht als Priester, sondern als Privatmann begangen, dann ist das eine so dramatische Verkennung und Verzerrung der Realität und zugleich auch des – gerade vom emeritierten Papst – immer hochgehaltenen sakralisierten Priesterbilds, dass man von einer ultimativen Selbstdemontage Benedikts sprechen muss.