
Ukrainische Gegenoffensive: Ziele, Chancen, Risiken
DW
Die Ukraine bereitet sich auf eine womöglich entscheidende Gegenoffensive vor, um die von Russland besetzten Gebiete zu befreien. Je länger Kiew wartet, desto besser scheinen seine Chancen.
Eine Autobahn in Polen nahe der Grenze zur Ukraine. Eine Kolonne aus einem Dutzend olivgrüner Armee-Trucks fährt an einem Aprilmorgen aus Richtung Ukraine kommend. Ihre Tieflader sind leer. "Ich habe sie vor einer Woche gesehen. Sie haben Panzer in die Ukraine gebracht", sagt der Taxifahrer. "Es waren sehr große Panzer."
Jeden dieser Panzer wird die Ukraine in den kommenden Wochen und Monaten brauchen. Die ukrainische Armee beendet gerade ihre Vorbereitungen auf eine vor Monaten angekündigte und mit Spannung erwartete Gegenoffensive. Sie soll eine Wende im bisherigen zermürbenden Stellungskrieg bringen. Und sie soll Russland aus den besetzten Gebieten vertreiben. Es könnte eine entscheidende Schlacht werden. Ein Befreiungsschlag.
Wer in diesen Tagen nach Kiew reist, erlebt die buchstäbliche Ruhe vor dem Sturm. Russische Raketenangriffe wie am Freitag, 28. April, waren zuletzt selten geworden. Auf gut gepflegten Straßen der Hauptstadt blühen Bäume und Blumen, Cafés sind voll, der Krieg scheint weit weg. Und doch wird man immer wieder daran erinnert. An jeder Ecke hängen Plakate mit Aufrufen, sich freiwillig zu melden oder für die Armee zu spenden. Auf dem Majdan, dem Platz der Unabhängigkeit, werden fast täglich Särge mit prominenten gefallenen Kämpfern aufgestellt.
Besonders viele sterben bei Bachmut. Die Stadt im Gebiet Donezk ist seit Monaten hart umkämpft und nun größenteils unter russischer Kontrolle. Doch die ukrainische Armee gibt nicht auf. Die Staats- und Armeeführung erklärt das mit dem Schutz anderer Städte in der Nähe. Doch Kiew will bei Bachmut nicht nur russische Kräfte binden, sondern auch Zeit für die Vorbereitung der Gegenoffensive gewinnen. Die ukrainische Armee hat ihre Reserven deshalb lange geschont und sehr hohe Verluste in Kauf genommen. Genaue Zahlen sind unbekannt.
Auch Andrij und Maxym (Namen von der Redaktion geändert) haben bei Bachmut gekämpft. Derzeit sind sie wieder in Kiew - endlich Zeit zur Erholung. "Ich hoffe sehr, dass es sich gelohnt hat", sagt Andrij über die Entscheidung, Bachmut unbedingt zu halten. Er selbst scheint sich nicht sicher zu sein. Maxym erzählt von der zahlenmäßigen Überlegenheit russischer Kräfte, schlechter Vorbereitung und schwacher Ausrüstung seiner Einheit. Was die beiden von der Gegenoffensive erwarten? "Endlich wieder befreite Gebiete", sagt Maxym.