Ukraine: Wie der Krieg das Leben entwurzelt
DW
Charkiw im Osten der Ukraine wird seit zwei Wochen von der russischen Armee beschossen. Die Hauptstadt Kiew stellt sich auf das Schlimmste ein. Putins Krieg treibt Menschen in die Flucht. Oder in den Widerstand.
Inna Sovsun ist im Dauereinsatz. Sie sitzt an ihrem Laptop in einem Haus in der Nähe von Kiew und spricht mit Journalisten. Sie redet, während russische Truppen immer weiter auf die ukrainische Hauptstadt vorrücken. Während um Vororte wie Irpin heftig gekämpft wird, während immer wieder Geschosse einschlagen und Bomben fallen. Manchmal, so erzählt sie, spricht sie auch dann weiter, wenn sie den Fliegeralarm hört.
Reden ist jetzt ihre Mission.
Von morgens bis abends gibt die ukrainische Politikerin Interviews, sie spricht fließend Englisch, hat in Schweden studiert und in den USA gelebt. Jetzt erklärt sie den Medien der westlichen Welt den Krieg in ihrem Land. Und bittet eindringlich um Hilfe. "Die bisherigen Sanktionen sind nicht annähernd hart genug", sagt sie. "Wir fordern ein komplettes Handelsembargo. Sanktionen, die die russische Wirtschaft lahmlegen, so dass kein Geld mehr da ist, um Waffen zu kaufen." Sie meint den Boykott von Erdöl, Gas und Kohle aus Russland.
Inna Sovsun sitzt für die liberale und pro-europäische Partei Golos Zmin im Parlament. Beim Zoom-Interview mit der DW sieht sie müde aus. In den vergangenen beiden Wochen hat sie kaum mehr als drei Stunden pro Nacht geschlafen. Sie lebt derzeit bei Freunden, die eine gute Internetverbindung haben. Und außerdem einen eigenen Keller. In ihrer Kiewer Stadtwohnung hat sie keinen. Wie oft sie schon im Keller Schutz suchen musste, weiß Sovsun nicht. Sie hat aufgehört zu zählen. Alle paar Stunden gebe es Alarm.
Es ist Dienstag, der 13. Tag des Krieges, als die DW sie erreicht. Seit Beginn des russischen Angriffs hat Inna Sovsun ihren neunjährigen Sohn nicht mehr gesehen. Sie hat ihn vorsorglich aus Kiew weggebracht, er ist mit seinem Vater im Westen des Landes, wo es derzeit sicherer ist.