Ukraine-Krieg und Kehrtwende deutscher Außenpolitik: Fragen müssen sein
Frankfurter Rundschau
Einigkeit im Kampf gegen Putin vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs tut not. Nicht aber ein Verzicht auf kritische Debatten über die Mittel. Der Leitartikel.
Im Augenblick des Verbrechens zählt nur die Solidarität mit dem Opfer. Annalena Baerbock (Grüne) hatte also zutiefst recht, als sie in der Nacht zum Mittwoch bei den Vereinten Nationen sagte: „Heute müssen wir uns alle entscheiden. Zwischen Frieden und Aggression. Zwischen Gerechtigkeit und dem Willen des Stärksten. Zwischen Handeln und Wegsehen.“
Das klingt, bei allem angemessenen Pathos, zunächst ziemlich einfach. Nur: Wer der Außenministerin zustimmt, kommt auch an der Frage des „Wie“ nicht vorbei: Was kann der völkerrechtswidrig überfallenen Ukraine wirklich helfen? Was nicht? Diejenigen, die darüber zu entscheiden haben, sind nicht zu beneiden, und wenn sie heute ihre Russland-Politik korrigieren, ist das nicht automatisch falsch. In blinder Gefolgschaft gegenüber dem Bundeskanzler darf das jedoch so wenig enden wie in billiger Fundamentalkritik.
Nehmen wir als Beispiel die Waffenlieferungen an die Ukraine. Annalena Baerbocks Argument – „damit sie sich im Einklang mit Artikel 51 unserer Charta gegen den Aggressor verteidigen kann“ – ist im Moment der Existenzgefährdung eines souveränen Staates schwer zurückzuweisen. Auch durch diejenigen, die mit sehr guten Gründen Rüstungsexporte in Krisengebiete immer abgelehnt haben.
Da sind wir schon mitten in dem Dilemma, das der Ukraine-Krieg einer ganzen Gesellschaft auferlegt – gerade auch denjenigen, die die Welt immer vom Ideal der friedlichen Konfliktlösung aus betrachtet haben. Dass Waffen eben auch zur weiteren Eskalation beitragen oder in die falschen Hände geraten können – dieses Argument ist ja nicht ein für alle Mal überholt. Eine Zustimmung im konkreten Fall wird erst dann glaubwürdig, wenn sie mit diesen Gegengründen abgewogen ist.
Zur Verteidigung demokratischer Gesellschaften gehört es also, die Einigkeit im Kampf gegen einen autoritären Verbrecher mit einem kritischen Diskurs über die Mittel zu verbinden. Der reine Schulterschluss (ursprünglich ein Begriff aus der Militärtaktik) kann die Methode einer Demokratie nicht sein. Empörung über die Täter, Trauer über die Opfer und Furcht vor einer weiteren Eskalation sind in dieser Situation so notwendig wie der Gebrauch eines kritischen – und selbstkritischen – Verstandes.