Ukraine-Krieg: Müssen Gräueltaten sein?
DW
Vergewaltigung, Verstümmelung, Morden an Zivilisten - was wir jeden Tag über Gräueltaten aus der Ukraine hören, ist kaum zu ertragen. Aber warum verüben Menschen diese Taten? Ein Erklärungsversuch.
Krieg ist grausam und dreckig. Die Vorstellung, dass man mit modernen Waffen einen chirurgisch minimalinvasiven Krieg führen könnte, bei dem kaum Zivilisten ums Leben kommen und bei dem nur militärische Ziele zerstört werden, ist abwegig. Zumindest kennen wir keinen solchen. Aber muss es immer so extrem menschenverachtend sein wie aktuell in der Ukraine? Muss es sein, dass Soldaten gezielt auf Zivilisten, auf Frauen und Kinder schießen und Frauen vergewaltigen?
Ja, scheint leider die harte, aber korrekte Antwort zu lauten. "Ich habe keine Kriegspartei erlebt, sei sie noch so sehr durch die höchsten moralischen Werte geleitet und bestimmt, bei der es nicht zu Gräueltaten gekommen wäre", sagt Thomas Elbert. Und er weiß, wovon er spricht. Denn Thomas Elbert ist emeritierter Professor für klinische Psychologie und Verhaltensneurowissenschaften an der Universität Konstanz. Er forscht auch weiter zu seinem Schwerpunkt: Traumatischer Stress und deren Folgen, insbesondere die Folgen von organisierter Gewalt. Er hat Feldstudien in Konfliktgebieten wie Afghanistan, Somalia oder Uganda gemacht.
Warum Menschen verschiedenste schwer zu begreifende Taten im Krieg begehen, lässt sich am besten an Beispielen erklären. Es folgen drei zum Teil verstörende Beispiele:
Ein Drohnenvideo hat weltweit große Bekanntheit erlangt. Es zeigt eine Reihe russischer Panzer in einem menschenleeren Teil der ukrainischen Stadt Butscha. Eine Person schiebt ihr Fahrrad an einer Kreuzung in großer Entfernung an den Panzern vorbei. Die schießen mehrfach - bis die Person tot auf dem Boden zusammensackt. Warum? Traumaforscher Thomas Elbert gibt zwei Erklärungsversuche. Erstens: Die Soldaten in den Panzern könnten sich bedroht gefühlt haben. So könne es ja auch sein, dass diese Person plötzlich eine Panzerfaust zieht und auf einen Panzer schießt.
Zweitens - und diese Antwort ist für viele vermutlich schwer verständlich: "Es ist eine Gaudi, den anderen abzuschießen", so Thomas Elbert. In ihrer eigenen Wahrnehmung erschießen die Soldaten keinen anderen Menschen, sondern Ungeziefer, wie es ihnen die Propagandamaschinerie so einflößt. Für die Kämpfer sei es zum Teil ein Spaß, genau zu zielen und zu treffen. In einem Panzer sitzen immer mehrere Soldaten. Und da hieße es dann auch schon mal: "Hast du gesehen, wie ich das getroffen habe? Klasse!" Angelegt werde eher auf eine Zielscheibe als auf einen Menschen. "Wer auf Konkurrenz beruhende Computerspiele spielt, weiß, dass das Spaß macht." Ruandische Völkermörder hätten ihm gesagt, das werde regelrecht zum Volksvergnügen, so Elbert. Und ein US-Amerikaner habe erzählt, es sei wie ein Schuss Heroin und man sei dann in einer Art Blutrausch.