Ukraine-Krieg: Deutsche Außenpolitik am Pranger
DW
Kritiker sehen im russischen Überfall auf die Ukraine den Beweis, dass eine Politik des Wandels durch Handel ein großer Irrweg war. Dafür steht vor allem Angela Merkel, aber im Grunde eine ganze Politikergeneration.
Es sind Bilder von einem Blutbad an Zivilisten in Butscha, einem Vorort von Kiew. Die ukrainische Regierung macht russische Soldaten dafür verantwortlich. Aber der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhebt auch schwere Vorwürfe gegen die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er lade sie ein, sich in Butscha ein Bild davon zu machen, "wozu die Politik der Zugeständnisse an Russland in 14 Jahren geführt hat", sagte Selenskyj.
Vor 14 Jahren, bei einem NATO-Gipfel in Bukarest, sorgten vor allem Merkel und der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy dafür, dass die Ukraine keine Einladung in die NATO bekam, um Russland nicht zu provozieren. Das nennt Selenskyj heute eine "Fehlkalkulation", derentwegen die Ukraine jetzt "den schlimmsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg" erlebe.
Die Regierung Merkel schloss auch nach der russischen Annexion der Krim 2014 Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Und sie genehmigte kurz danach die Ostsee-Erdgasleitung Nord Stream 2, mit der die Ukraine als Gas-Transitland umgangen wurde. "Wie anders als stillschweigende Akzeptanz einer gewaltsamen Grenzverschiebung sollte das Moskau verstehen?", fragt Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat sich direkt an Merkel gewandt: "Frau Bundeskanzlerin, Sie schweigen seit Beginn des Krieges. Dabei hat gerade die Politik Deutschlands während der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre dazu geführt, dass Russland heute eine Stärke hat, die auf dem Monopol des Verkaufs von Rohstoffen basiert." Und unter Bundeskanzler Olaf Scholz blockiere Deutschland entschiedenere EU-Sanktionen, so Morawiecki.
Nicht nur Merkel und Scholz stehen derzeit unter Beschuss. Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin, warf dem Bundespräsidenten und früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag im "Tagesspiegel" vor, für ihn sei "das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht, auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle". Wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein ausländischer Botschafter ein deutsches Staatsoberhaupt derart hart angegangen.