Ukraine-Krieg bei Maybrit Illner: SPD-Politiker sieht Teilschuld beim Westen - Merz platzt der Kragen
Frankfurter Rundschau
Bei Maybrit Illner steht der Krieg in der Ukraine im Mittelpunkt. SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi erinnert sich an den Zweiten Weltkrieg.
Berlin - Wenn er die Sirenen in der Ukraine heulen höre, sagte der 93-jährige SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, erinnere er sich mit Schrecken an den Zweiten Weltkrieg, den er als Jugendlichen miterlebte. Diese Worte waren der Auftakt des Polit-Talks bei Maybrit Illner am 10. März 2022 im ZDF. Die Sendung widmete sich dem Ukraine-Konflikt und besprach die neusten Entwicklungen, darunter das Außenministertreffen in der Türkei und den militärischen Angriff Russlands auf eine ukrainische Kinder- und Geburtsklinik, die zivile Opfer forderte.
Zu Beginn blieb Moderatorin Illner, die den ganzen Abend den verzweifelten Versuch machte, mit einen energischen Tonfall und leichtem Sarkasmus durch das Gespräch zu führen, noch bei von Dohnanyi, der nicht im Studio anwesend war, sondern aus Hamburg zugeschaltet wurde. Die SPD sei mit ihrem Leitmotiv „Nie wieder Krieg“ gescheitert, meinte sie zu ihm. Doch dies wies der Autor und Politiker ab und konterte vielmehr: „Wir haben alles versucht, wir haben immer versucht, Kompromisse zu finden.“ Wen von Dohnanyi mit diesem kollektiven „Wir“ genau meinte, blieb etwas offen, denn weiter sagte er: „Was mir in den letzten Jahren gefehlt hat, ist, dass wir im Westen nicht kompromissbereit genug waren.“ Von Dohnanyis Argumentation blieb auf dieser Ebene und stiess die weiteren Anwesenden in der Talkrunde im ZDF mehrfach vor den Kopf.
Die heftigsten Reaktionen kamen von Lars Klingbeil, SPD-Parteivorsitzender, und vom Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU Friedrich Merz. „Putin hat uns angelogen“, sagte Klingbeil. „Wladimir Putin ist ein schwerer Kriegsverbrecher“, meinte Merz, „es kann sich wohl kaum jemand mehr vorstellen, mit ihm an einem Verhandlungstisch einer Staatengemeinschaft sitzen zu können.“ Seines Erachtens habe man Putin größtes Verständnis entgegengebracht. „Trotz der Zurückhaltung des Westens und Europas stehen wir in einem heissen Krieg in Europa“, und nicht etwa, weil man Putin mit einer möglichen Mitgliedschaft der Ukraine bei der Nato provoziert habe, wie von Dohnanyi gleich mehrfach behauptete. Diese Nato-Geschichte erfinde Putin selbst und missbrauche sie, meinte Merz weiter bei Maybrit Illner im ZDF.
Auch Militärexperte Carlo Masala stimmte ihm zu: „Das ist eine Nebelkerze“. Die Nato spiele eine wichtige Rolle in Putins Narrativ, doch stimme es überhaupt nicht, dass sie sich etwa ausbreite oder gar Russland bedrohe. „Es gibt keine Infrastrukturen, keine substantielle militärische Präsenz der Nato vor Ort, und es werden auch keine taktischen Nuklearwaffen geliefert.“ Dass es sich bei der Bedrohung Russlands um einen eigens geschaffenen Mythos handle, bestätigte auch die Journalistin Katja Gloger. Seit etwa zehn Jahren entwickle sich eine „Ideologisierung Putin“, die „wir massiv unterschätzt haben“, sagt sie. „Der Westen gilt als Feind, der darauf hinaus ist, Russland kleinzuhalten, zu demütigen und letztlich zu zerstören“. Diese Verschwörungserzählungen alimentiere Putin und fordere die Vorstellung, dass „Russland eine ganz eigenständige Zivilisation sei, dem dekadenten Westen überlegen“.
Nichtsdestotrotz werde man nicht darum herumkommen, mit Putin verhandeln zu müssen, warf von Dohnanyi wieder ein. Er sieht den Westen durchaus in der Schuld, da dieser Russland mit seinen Nato-Expansionsplänen provoziert habe. In diesem Punkt wurden sich die Gäste in der Sendung von Maybrit Illner im ZDF nicht mehr einig. Überhaupt war die Diskussion insgesamt etwas müßig, dass sich nichts Neues aus dem Gesagten ableiten ließ. SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil versteckte sich hinter der immer wieder leicht variierten, aber doch im Wesentlichen gleichen Aussage, man müsse, zum einen, sehr vorsichtig sein, was man jetzt sage und tue, denn „das wird uns über Jahre beschäftigen“, oder, zum anderen, „müssen wir bei aller Emotionalität einen kühlen Kopf bewahren, weil wir die Verantwortung für die Konsequenzen“ tragen.