Ukraine-Konflikt: „Putin kann diesen Krieg nicht gewinnen“
Frankfurter Rundschau
Im Ukraine-Krieg spielt die Zeit für Kiew, aber Russlands Generäle lassen sich von ihren strategischen Vorgaben auch durch Verluste nicht abbringen.
Kiew/Moskau - Der klarste wie erschreckendste Satz des Freitags, zweieinhalb Wochen seit Beginn des Ukraine-Kriegs, kam von Sergej Schoigu. Der russische Verteidigungsminister sagte: „Alles verläuft planmäßig.“ Wobei der Satz durchaus noch Raum für Interpretationen lässt. Der ehemalige Nato-Kommandierende und Ex-Bundeswehrgeneral Hans-Lothar Domröse, dieser Tage Dauergast in praktisch jeder Talkshow und in jeder Gazette, hält dem Kollegen Schoigu entgegen, in Fachkreisen würden dessen Truppen als „völlig inkompetent“ gehandelt.
Diese Kreise machen das gerne fest an dem nun bereits legendären russischen 64-Kilometer-Konvoi, gekommen aus Belarus und weit vor Kiew stehengeblieben, Tage um Tage allem Anschein nach völlig unbeweglich. Legendär ist dieser Konvoi, weil er sich nun aufgelöst hat. Wie Satellitenbilder zeigen, wurden die Kampf- und Schützenpanzer, die Artillerie-Gespanne und LKW nun in kleineren Orten und Wäldern nördlich von Kiew verteilt. Oder „zurückgezogen“, wie jene Kreise das interpretieren. Für Domröse sei dies aus russischer Perspektive ein „längst überfälliger“ Schritt, wie er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte. Denn für das ukrainische Militär habe der lange Konvoi ein einfaches Ziel dargestellt. Drohnenvideos der vergangenen Tage legen nahe, dass jede Konzentration russischer Kampffahrzeuge bei der erstbesten Gelegenheit von ukrainischen Kräften angegriffen und oft auch vernichtet wird.
Andere Fachkreise aber – durchaus nicht russland-freundliche – stimmen eher der Ansage Schoigus zu. Sie verweisen darauf, dass die Teile besagten Konvois nun in Bereitstellung gegangen sind, bereit zum Kampf um Kiew. Die Satellitenaufnahmen zeigen in der Nähe des Flughafens Antonow nun auch Haubitzen, die speziell für den Beschuss befestigter Gebiete gemacht sind. Mutmaßlich waren die bis vor kurzem noch in dem Konvoi.
Jene eher pessimistischen Kreise belegen ihre Sichtweise mit der wohl dokumentierten russischen Militärdoktrin – beispielsweise dargestellt in „The Russian Way of War“ vom US-Strategielehrer Lester Grau –, die da besagt, dass man langsam und methodisch seine Angriffsoperationen aufbaut. Und sich vor allem nicht durch Verluste beirren lässt. Anders gesagt: Im Kalkül russischer Generäle sind Verluste an Menschen (und Material) akzeptabel, die im Westen zu einer Regierungskrise führen würden.
Gleichwohl ist anzuerkennen, dass der ukrainische Widerstand weiterhin ungebrochen ist. Finanz-, Militär- und zivile Hilfe rollt, weitere Sanktionen gegen Russland stehen an, lokale Erfolge gibt es zuhauf: In Tschernihiw und vor Charkiw konnten russische Einheiten zurückgeschlagen werden. Und wenn Tauwetter einsetzt, verwandelt sich die Ukraine in ein Schlammbad, was praktisch das Ende aller gepanzerten Aktionen wäre. Der Krieg würde dann bald in Monaten gezählt und nicht mehr in Wochen.