
Ukraine: Bücher machen im Krieg
DW
Unter Bombeneinschlägen und Raketenbeschuss hörte der "Vivat"-Verlag in Charkiw nie auf Bücher zu produzieren. Und eröffnete nun sogar ein Buchgeschäft.
Charkiw: Den Namen der zweitgrößten ukrainischen Stadt hört man in den letzten drei Monaten besonders oft in den Nachrichten. Hier, in unmittelbarer Nähe zur russischen Grenze, fielen in der Nacht zum 24. Februar die ersten russischen Bomben. In den darauffolgenden Wochen wurde die Stadt systematisch beschossen. Nach unterschiedlichen Schätzungen hat ein Drittel bis die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner der Millionenstadt Charkiw seitdem verlassen. Doch für die Verbliebenen geht das Leben weiter: In Parks pflanzen sie Blumen, sie reinigen die Straßen, und sie produzieren sogar: Bücher.
"Zum einen ist das Büchermachen für uns Beruf und Berufung", sagt Gründerin und Geschäftsführerin des "Vivat "-Verlages Julia Orlova im DW-Gespräch. "Zum anderen rettet uns die Arbeit davor, verrückt zu werden." 177 feste und ungefähr 200 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte ihr Verlag vor dem Krieg. Viele sind nicht mehr da, einige kämpfen an der Front.
Aber viele von ihnen arbeiten weiter - im "Homeoffice", das sich die meiste Zeit im Luftschutzkeller befindet. "Unsere Redaktionsabläufe, Setzen und Korrektur von Texten, Verträge oder auch Illustration lassen sich weiter fortsetzen", sagt Orlova, deren Druckerei in Charkiw von den Beschüssen beschädigt ist. Nun muss der Verlag auf andere Druckereien in der Nähe von Kiew und im Westen des Landes zurückgreifen. In die Nähe von Lwiw wurde auch das Lager des Verlages evakuiert, nun kann der Vertrieb neu gestartet werden, vor allem digital. Aber nicht nur: Am 20. Mai eröffnete der Verlag in Charkiw sein Buchgeschäft wieder - mitten in der stark zerstörten Innenstadt. Ukraines führender Dichter Serhij Zhadan las bei der Eröffnung seine neue Gedichte.
"Wir wollen mit dieser symbolischen Aktion auf die Probleme der ukrainischen Verleger hinweisen, die trotz riesiger Verluste und Einkommenseinbrüche das ukrainische Buchwesen retten", sagt "Vivat"-Pressechefin Galina Podilko. "Die Menschen in der Ukraine brauchen dringend das Gefühl, dass es mit dem Leben weitergeht." Auch die Nachfrage an Büchern wachse in den letzten Wochen kontinuierlich - besonders nach Kinder- und Jugendbüchern. Seit dem Ausbruch des Krieges wurden allein bei "Vivat" bereits über 60 Bücher produziert. Auch andere Verlage des Landes ziehen nach.
"Vivat" entstand 2013 durch eine Fusion von zwei kleineren Verlagen und arbeitete sich in den folgenden Jahren an die Spitze des ukrainischen Verlagswesens hoch. Knapp zwei Millionen Bücher wurden im Jahr vor dem Kriegsbeginn verkauft. "Damit gehören wir zu den drei führenden Verlagen des Landes", sagt Orlova. Besonders stolz ist sie auf die Qualität ihrer Bücher. "Wir arbeiten mit führenden ukrainischen und internationalen Autorinnen und Autoren, bauen neue Talente auf." Fiction und Non-Fiction, ukrainische Texte und Übersetzungen, vor allem aber Kinderbücher gehören zum Portfolio von "Vivat".