Tunesien: Kritik am autoritären Kurs nimmt zu
DW
Der tunesische Präsident Kais Saied hat angekündigt, den Obersten Justizrat des Landes aufzulösen. Der Schritt reiht sich ein in eine ganze Reihe weiterer autoritärer Maßnahmen. Inzwischen regt sich verhalten Widerstand.
Geht es nach dem tunesischen Präsident Kais Saied, wird es den Obersten Justizrat des Landes bald nicht mehr geben. Bald werde der Rat der Vergangenheit angehören, hat Saied am vergangenen Sonntag (06.02.) angekündigt. Er werde ein entsprechendes Dekret erlassen. Der Rat selbst erklärte daraufhin, man werde der Anordnung nicht Folge leisten und die Arbeit fortsetzen. Er ist unter anderem dafür zuständig, die Unabhängigkeit der Justiz zu sichern.
Wiederholt hatte der Präsident den Richtern jedoch vorgeworfen, sie handelten so, als seien sie selbst der Staat - und nicht eine seiner Einrichtungen. Außerdem, bemängelte er, verschleppe die Justiz immer wieder in wichtigen Korruptions- und Terrorismusfällen die Urteilsfindung.
Die von den UN und westlichen Staaten scharf kritisierte Ankündigung ist der neueste Schritt in einer Reihe eigenmächtiger Entscheidungen, die Saied in den vergangenen Monaten getroffen hat. Bereits im Juli hatte er die Regierung und das Parlament entmachtet. Seitdem wird das Land faktisch per Dekret regiert. Im September hatte Saied zudem weite Teile der Verfassung außer Kraft gesetzt. Zudem ging er gegen Kritiker und Oppositionelle vor. So wurde der in Paris lebende ehemalige tunesische Präsident Moncef Marzouki im Dezember in Abwesenheit wegen angeblicher "Untergrabung der Staatssicherheit" zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Insgesamt, erklärte der Präsident, wolle er den politischen und wirtschaftlichen Stillstand in Tunesien überwinden und zudem die Coronavirus-Pandemie in den Griff bekommen. Eine umstrittene Online-Befragung soll angeblich helfen, Tunesien in die Zukunft zu führen. In einem größeren Teil der Bevölkerung hatten seine Maßnahmen zunächst Rückhalt gefunden.
Auch mit seinem Vorgehen gegenüber dem Obersten Justizrat greife Saied einen im Lande weit verbreiteten Kritikpunkt auf, sagt Johannes Kadura, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis. "Vielen Richtern wird Verschleppung von Verfahren oder Parteilichkeit unterstellt. Da gibt es schon genug zu kritisieren. Allerdings hat der Präsident hier bislang keine ernstzunehmende Alternative oder Lösung angeboten."
Generell lasse Saied konstruktive Impulse vermissen, bemängelt der Experte aus Deutschland. Das gelte auch für die von ihm ernannte Regierung unter Nejla Bouden, der ersten Premierministerin des Landes. Kadura spricht von einer "Technokraten-Regierung", die "wie ein Durchführungsorgan des Präsidenten" anmute. "In der Summe handelt es sich um eine Schwächung der Institutionen."