
Traum in Trümmern
Frankfurter Rundschau
Das gute Gefühl, das die Engländer durch die EM im eigenen Land getragen hatte, wurde am letzten Turniertag weggeschwemmt. Auf einmal tauchen wieder Fragen auf
So ging es also zu Ende. Es regnete noch leicht in London, rund zwei Stunden nach dem EM-Finale, rund zwei Stunden nach dem entscheidenden Fehlschuss von Bukayo Saka, der Italien zum Europameister gemacht und Englands Traum vom ersten Titel seit dem WM-Sieg 1966 zertrümmert hatte, auf die brutalste Weise, die der Fußball kennt – im Elfmeterschießen. Am Piccadilly Circus, dem berühmten Platz in der Londoner Innenstadt, feierten die Italiener. Sie sangen ihre beiden Nationalhymnen, die offizielle, „Il Canto degli Italiani“, und die inoffizielle: „Seven Nation Army“ von den White Stripes. Ein paar Engländer beobachteten die Szenerie, die Polizei hatte sich dazwischen aufgebaut, um Auseinandersetzungen zu verhindern zwischen Siegern und Besiegten. Der Boden sah aus, als wäre ein Wolkenbruch aus Bierdosen, zerbrochenen Flaschen und sonstigem Party-Müll über London niedergegangen. Aber England hatte keine Stimme mehr. Es war vorbei. Die Engländer hatten sich langsam gesteigert im Laufe des Turniers, bis zum Höhepunkt mit der ersten Endspiel-Teilnahme seit 55 Jahren, sie hatten die Lautstärke langsam höher gedreht, nie besonders attraktiv gespielt, aber erfolgreich. Im Finale im Londoner Regen waren keine zwei Minuten vorbei, als der Traum vom EM-Titel konkrete Formen annahm. Luke Shaw traf, 1:0. Wembley explodierte. Rund eine halbe Stunde spielte England wie ein Europameister, die Mannschaft hatte das Geschehen im Griff. Italien riss erst in der zweiten Halbzeit die Kontrolle an sich, kam zum verdienten Ausgleich durch Leonardo Bonucci. Dass das am Ende im Elfmeterschießen gelang, hatte natürlich auch mit Glück zu tun, so ist das eben im Elfmeterschießen. Aber es konnte keinen Zweifel geben, dass Italien der verdiente Sieger der Partie und des ganzen Turniers war. Der englische Torwart Jordan Pickford parierte bei der Entscheidungsfindung vom Punkt zwei Versuche, eine außergewöhnliche Leistung eigentlich, vor allem für einen englischen Torwart. Doch das reichte nicht zum EM-Titel, weil gleich drei seiner Kollegen vergaben: Marcus Rashford traf den Pfosten, Jadon Sancho und Bukayo Saka scheiterten an Italiens Keeper Gianluigi Donnarumma. Schluss, Aus. Für Englands Spieler gab es nur Silbermedaillen, die sie sich umgehend vom Hals nahmen.More Related News