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Transmenschen in Griechenland wollen mehr Sichtbarkeit
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Nirgendwo in Südosteuropa haben Transmenschen so viele Rechte wie in Griechenland. Die gesellschaftliche Anerkennung aber wächst nur langsam. Das hat auch mit den Medien zu tun.
Manchmal fürchtet sich Katherine Reilly, wenn sie allein durch die Athener Straßen geht: "Gerade nachts, nach der Arbeit, wenn das Auto weit weg steht, habe ich ein komisches Gefühl." Gewalt an Frauen, das ist in Griechenland gerade ein Thema in den Medien. Eifersuchtsmorde, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung: Die #MeToo-Debatte hat auch hier an empfindlichen Tabus gerüttelt, und strukturelle, gesellschaftliche Probleme dringen endlich an die Oberfläche.
Katherine kleidet sich gern elegant und betont ihre Weiblichkeit. Lange, blonde, aufwendig frisierte Haare, ein kurzer Rock, lange Beine in schwarzen Strumpfhosen und hochhackige Schuhe: Die in Chicago geborene Griechin legt Wert auf ihr Äußeres. Vielleicht auch gerade, weil ihr ursprüngliches, biologisches Geschlecht eigentlich männlich war. Damit aber konnte sie sich nicht nie identifizieren. Katherine war schon immer weiblich, seit sie denken kann.
Das Café Higgs im hippen Athener Stadtteil Gazi ist bekannt als Ort der Toleranz. Hier spielen sexuelle Vielfalt, Behinderung oder die Herkunft keine Rolle. Katherine sitzt an einem Tisch am Fenster und schreibt auf ihrem Laptop. Sie verdient ihr Geld mit dem Schreiben. Über zwanzig Veröffentlichungen kann sie vorweisen, darunter Kinder- und Abenteuerbücher und Abhandlungen über Weiblichkeit. Außerdem unterrichtet sie Englisch an einer privaten Schule. "Ich bin die erste Lehrerin Griechenlands, die öffentlich als Transfrau lebt", erklärt sie und lacht. Ihr Umfeld habe damit kein Problem: "Meine Kollegen und die Eltern unterstützen mich. Meine Schülerinnen und Schüler haben mich dazu überredet, einen Tik-Tok-Kanal einzurichten, und das hat eingeschlagen wie eine Bombe." Über 325 Millionen Mal wurde Katherines Profil dort aufgerufen. Die meisten Reaktionen, sagt sie, seien positiv.
In Griechenland ist es keine Selbstverständlichkeit, dass eine Transfrau Kinder unterrichten darf. Das Land ist tief-religiös und tut sich schwer mit Menschen, die vom klassischen Familienbild abweichen. Langsam aber brechen die traditionellen Rollenbilder auf. Giannis Boutaris, der ehemalige Bürgermeister von Thessaloniki hat sich offen für die Rechte der LGBTQI-Gemeinschaft eingesetzt. Auch Mitglieder der früheren Linksregierung unter Premier Alexis Tsipras (2015-2019) haben offen die sexuelle Selbstbestimmung unterstützt. Die amtierende konservativ-nationalistische Regierung hält sich bei dem Thema zurück, denn beliebt ist die neu gewonnene Freiheit längst nicht bei allen Griecheninnen und Griechen. Doch die Entwicklung hin zu einer offeneren, vielfältigeren Gesellschaft, ist längst nicht mehr aufzuhalten.
"Ich würde mir wünschen, dass sich die Gegebenheiten ändern und dass auch andere Transmenschen ihre Fähigkeiten zeigen und sich beruflich entwickeln können", sagt Reilly. Sie selbst redet öffentlich über ihre sexuelle Identität - auch in den Medien. Sie will nicht nur hinter verschlossenen Türen sie selbst sein, sondern am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Dafür nimmt sie auch in Kauf, dass sie in den Medien selten über ihre Arbeit gefragt wird, zu einem ihrer vielen Bücher, zu Fragen der Sprachdidaktik oder zu feministischen Themen. "Es geht immer nur um meine sexuelle Identität", bedauert Reilly. Gleichzeitig weiß sie: Der Medienrummel um sie ist ein großer Schritt in eine bessere Welt.