Tiere handeln rational: Der Kakadu, die Nuss und der Haken
Frankfurter Rundschau
Tiere treffen Entscheidungen, wägen ab und finden spontan Lösungen für völlig neue Probleme - das ist eine ernsthafte Herausforderung für das menschliche Selbstverständnis. Von Ludwig Huber
Ob Tiere rational sein können und ob sie Bewusstsein haben, zählt zu den spannendsten und umstrittensten Fragen der Biologie und vergleichenden Psychologie. Und obwohl schon Charles Darwin prophezeite, dass sich die Psychologie auf ein neues Fundament stützen wird, nämlich das der notwendigen Aneignung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit durch Abstufung (und dabei auch Licht auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte geworfen wird), haben Biologen und Psychologen lange Zeit das Problem des tierischen Bewusstseins außerhalb der seriösen Forschung verortet, es als etwas abgetan, über das man niemals etwas wissen kann und daher nicht weiter darüber nachdenken, geschweige denn forschen sollte.
Selbst jene Wissenschaftler, die zu höheren Formen der Kognition bei Menschenaffen, Delfinen oder Rabenvögeln forschen, die ihnen Nachdenken über ihre physikalische und soziale Umwelt, Zeitgefühl, Werkzeugherstellung, Planhandlung und Perspektivenübernahme zugestehen, verweigern sich der Frage, ob wir Tieren Rationalität, Intentionalität und Bewusstsein zuschreiben können, und wenn ja, welchen Tierarten und in welchem Maß. Das hat vorwiegend mit drei Problemen zu tun: Erstens ist noch immer nicht klar, was das Bewusstsein, welches mit den anderen genannten Fähigkeiten zusammenhängt, genau ist. Selbst über das Bewusstsein des Menschen, seinen neuronalen Mechanismus und seine Funktionen gibt es viele divergierende Meinungen. Damit sind wir auch schon beim zweiten, dem sogenannten „harten Problem“: dem subjektiven Erleben. Bewusstsein ist ein vielschichtiges Phänomen, subjektive Erfahrung ist sein rätselhaftester Aspekt. Es ist nicht nur so, dass unsere Gehirne Reize sammeln und mit Bedeutung versehen, sie erzeugen darüber hinaus einen lebendigen Reigen von Erfahrungen und Gefühlen: grün sehen, sich hungrig fühlen oder verblüfft sein über philosophische Fragen. Man selbst zu sein ist ein Gefühl; und niemand anders wird das je so direkt wissen wie man selbst. Drittens wirft die Erkundung des Bewusstseins von Tieren die Frage nach der Sonderrolle des Menschen auf.
Bereits der amerikanische Biologe Donald Griffin war davon überzeugt, dass die Gründe für die Spuren menschenähnlichen Bewusstseins bei Tieren im Evolutionsprozess zu suchen seien: Die These lautet, dass Bewusstsein nicht entstanden wäre, wenn es keine überlebensfördernden Funktionen hätte. Neueste Forschungen scheinen darauf hinauszulaufen, dass die ursprüngliche Funktion von Bewusstsein die Ermöglichung von willentlichen Bewegungen ist. Mit diesen kann ein Organismus seine Aufmerksamkeit besser ausrichten und sich auf genau das fokussieren, was für seine Fitness und das Überleben wichtig ist. Mit dem Verfügen über Repräsentationen von Objekten und Ereignissen in der Welt, der Fähigkeit, Beziehungen zwischen verschiedenen Repräsentationen herzustellen (awareness), der Fähigkeit, sich auf eine davon auszurichten (intention) und der Fähigkeit zu planen, wie das von der Intention erfasste Ziel zu erreichen ist, würden manche Tiere einige der zentralen Funktionen von menschlichem Bewusstsein besitzen. Dass Menschen darüber hinaus noch weitere Fähigkeiten haben, etwa sich ihrer eigenen bewussten Prozesse gewahr zu werden, sich reflexiv selbst zu repräsentieren, und dies detailreich anderen mitzuteilen, steht außer Frage.