
Tiefe Narben bei Liverpool-Fans vor Spiel gegen Real Madrid
DW
Erstmals seit dem Champions-League-Finale 2022 trifft der FC Liverpool auf Real Madrid. Beim Endspiel in Paris kam es vor dem Stadion zu chaotischen Szenen, die bei den Liverpooler Fans tiefe Spuren hinterlassen haben.
Es gibt eine Reihe von Momentaufnahmen, die Ted Morris durch den Kopf gehen, wenn er an das letztjährige Champions-League-Finale denkt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um die Rettungstaten von Real-Torhüter Thibault Courtois oder an den Siegtreffer von Vinicius Junior für Madrid. Morris kann sich an kaum etwas von dem erinnern, das auf dem Spielfeld passierte. Stattdessen hat der Vorsitzende der "Liverpool Disabled Supporters Association" das Bild eines jungen Mädchens am Bahnhof vor Augen, tränenüberströmt nach einem unprovozierten Tränengasangriff. Er erinnert sich auch an die Angst, die er um seine Töchter hatte, die in einem anderen Teil des Stadions saßen als er - und an seine eigene Furcht, in den Straßen von Saint Denis am Rande von Paris zu sterben.
Er habe noch nie einen solchen Mangel an Polizei bei einem Spiel erlebt, sagt Morris, der überall in Europa mehr als hundert Partien besucht hat. Den Preis für die Versäumnisse der Sicherheitskräfte zahlten in der Finalnacht von Paris die Liverpooler, als sie sich auf den Weg vom Stadion zum Bahnhof machten, während die Fans von Real Madrid noch den Sieg feierten und ihren Helden dabei zusahen, wie sie die Trophäe in die Höhe stemmten. Morris und viele andere Liverpooler Fans berichteten, dass sie von örtlichen Banden angegriffen wurden. Die Behörden hatten unfreiwillig den Zugang zum Stadion ermöglicht, weil sie - um das Gedränge zu lindern, das vor dem Finale an einigen Eingängen entstanden war - die Kontrollen an der Absperrung zum Umfeld des Stadions gelockert hatten. So konnten die Angreifer die herausströmenden Fans abfangen, griffen sie mit Fäusten an, teilweise aber auch mit Messern und Flaschen, und raubten eine beträchtliche Anzahl von ihnen aus.
"Ich hatte schreckliche Angst. Ich wusste nicht, wer sie waren, bis wir sie kommen sahen, und dann waren es offensichtlich die Einheimischen, die uns angriffen", berichtet Morris der DW. "Wir dachten, wir wären in Sicherheit, als wir zum Bahnhof kamen. Aber das war nicht der Fall. Wir waren durch die Polizei genauso in Gefahr wie durch sie [die Angreifer - Anm. d. Red.]." Weil Ted Morris im Rollstuhl sitzt, war es für ihn besonders schwer, im Gedränge und bei den Tumulten rund um das Stade de France zurechtzukommen. Zur Sorge um die eigene Sicherheit kamen Gedanken, dass er mit seinem Rollstuhl ein Hindernis darstellen und dadurch andere in Gefahr bringen könnte. "Ich habe das eine Zeit lang mit mir herumgetragen und gedacht: 'Ich hätte Leute umbringen können.'", sagt Morris. "Und ich selbst hätte auch einfach sterben können. Es wäre katastrophal gewesen."
Die Übergriffe gegen Ted Morris und andere Liverpooler Anhänger ereigneten sich am Ende eines Tages, der für Tausende von ihnen traumatisch bleibt. Die Schuld für die Vorkommnisse - der Stau vor den Eingängen, das dadurch entstandene Chaos und die mehrfache Verschiebung des Anpfiffs - schob man zunächst den Anhängern aus England zu. Als die UEFA dann aber feststellte, dass die Berichte von Journalisten und Fans in den sozialen Medien dies eindeutig widerlegten, gab sie Sicherheitsprobleme als Grund an. Zudem verwies der Verband fälschlicherweise darauf, dass bis zu 40.000 Liverpooler Fans versucht hätten, sich ohne Eintrittskarten oder mithilfe gefälschter Tickets Zugang zum Stadion zu verschaffen. Auch diese Behauptung erwies sich als haltlos.
In einem Bericht, den die UEFA beauftragt hatte und der erst vor einigen Tagen erschien, wurde dem Verband die "Hauptverantwortung" für die chaotischen Szenen vor, nach und während des Spiels gegeben. Der Bericht stellte außerdem fest, dass die französische Polizei "ein Modell gewählt hat, das auf eine nicht existierende Bedrohung durch Fußball-Hooligans abzielt" und dass der französische Fußballverband es versäumt habe, "eine effektive Kooperation mit mehreren Partnern herzustellen, einschließlich der Verkehrsbetriebe, der Polizeipräfektur, dem Stade de France und der UEFA".