The Delines: „The Sea Drift“ – Hitze auf brüchigem Asphalt
Frankfurter Rundschau
Auf ihrem neuen Album laden The Delines zu einer beunruhigenden Fahrt entlang der Golfküste ein.
The Delines ist, weil diese Stimme ist. Die Stimme von Amy Boone. Wegen ihr existiert ein Ensemble, das vor einem Jahrzehnt an den Start gegangen und in Portland/Oregon stationiert ist. Dass die Truppe um Gründer Willy Vlautin nun ihr drittes Studioalbum in die Umlaufbahn wirft, war keinesfalls zu erwarten. Allzu schwer lastete jener verhängnisvolle 2016er Unfall, der die Sängerin lange von jeder künstlerischen Arbeit ferngehalten hat.
Das neue Material – elf Songs, darunter zwei Instrumentals – läuft unter dem Sammlungstitel „The Sea Drift“ und hat thematische Zielsetzung. Schauplatz all dieser musikalischen Erzählungen ist die Küstenlinie am Golf von Mexiko. Ein subtropisch aufgeladener Landstrich, industriell gezeichnet, touristisch eingefärbt. In den begleitenden Notizen nennt der 1967 geborene Schriftsteller und Musiker Vlautin – sechs seiner Romane sind auch in deutscher Sprache erschienen – die Orte des Geschehens: Port Arthur, Corpus Christi, „along the Texas Coast“.
Von seiner Vorgängergruppe, der über 20 Jahre aktiven Richmond Fontaine-Bruderschaft, hat der Gitarrist das Rhythmus-Gespann Sean Oldham und Freddy Trujillo mitgenommen und um Cory Gray ergänzt. Was daraus entsteht, ist einer kollektiv geformten Meisterlichkeit zu verdanken, einer visionären Hingabe an etwas, das mit „Country Soul“ nur vage umschrieben ist. Als Inspirationsquellen für „The Sea Drift“ werden jedenfalls Bobbie Gentry und Tony Joe White genannt – zwei Südstaaten-Mysterien, zwei kaum auszulotende Originalgenies.
Auf einer Strecke von 40 Minuten dehnen sich Kompositionen, denen Atmosphäre wichtiger ist als stilistische Vielfalt. Streicher werden arrangiert, akustische Saiten gezupft, Tasten niedergedrückt. Nicht nur die beiden Instrumentalstücke offenbaren, welche Bedeutung die von Cory Gray so prägnant eingesetzte Trompete hat: einsam-sehnsüchtige Läufe, umstandslos einer windschiefen, unterfinanzierten Chandler-Verfilmung entliehen.
„Little Earl is driving down the Gulf Coast / sitting on a pillow so he can see the road / next to him is a twelve pack of beer / three frozen pizzas and two lighters as souvenirs.“ Als sich Amy Boone in die Eröffnungsnummer schleicht, ist jeder Halt dahin. Schon die nächste Zeile macht den Asphalt brüchig: „Little Earl’s brother is bleeding in the backseat.“ – Ein großartiges, schmerzhaftes Stück Musik, daherkommend auf des Tigers samtiger Pfote, aufreißend einen Höllenschlund.