Terror von Hanau: Erinnerung an Morde bleibt umkämpft
Frankfurter Rundschau
In Hanau wird über den Standort eines Mahnmals für die Menschen gestritten, die beim Anschlag vor zwei Jahren ermordet wurden. Neu sind derartige Auseinandersetzungen nicht.
Hanau – Für Ibrahim Arslan ist die Sache klar. Wenn öffentlich an Opfer rassistischer oder antisemitischer Gewalt erinnert werde, sei das Wichtigste, was Überlebende und Angehörige wollten. „Die Betroffenen haben die Herrschaft über das Gedenken“, sagte der Bildungsreferent aus Hamburg, der 1992 als Kind den rassistischen Brandanschlag von Mölln überlebt hat, im vergangenen November im Interview mit der Frankfurter Rundschau. „Wenn Institutionen Gedenken vereinnahmen, um ihr Image aufzupolieren, dann ist das kein authentisches Gedenken.“ Leider gebe es das oft „in Städten, wo Menschen ermordet worden sind“.
Ibrahim Arslan weiß, wovon er spricht. Seit 2013 organisiert er mit Freund:innen jedes Jahr die „Möllner Rede im Exil“. Beim offiziellen Gedenken der Stadt Mölln an den von Neonazis verübten Brandanschlag fühlten Arslan und sein Umfeld sich nicht mehr repräsentiert, sondern als Statisten in die zweite Reihe gestellt. Arslan nennt es in aller Unversöhnlichkeit den „zweiten Anschlag“, wenn Betroffene nach einer Mordtat aus seiner Sicht instrumentalisiert werden. Seit fast zehn Jahren wird nun jeweils in einer anderen Stadt, im „Exil“, kritisch über Rassismus, rechten Terror und deutsche Verhältnisse gesprochen. Redner:innen waren schon die Kabarettistin Idil Baydar oder Argyris Sfountouris, der 1944 ein Massaker der SS im griechischen Distomo überlebt hatte.
Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag mit zehn Todesopfern wird auch in Hanau über die Form des Gedenkens diskutiert. Dass es ein Denkmal für die Ermordeten geben soll, steht fest, aber der Ort ist strittig. Die Betroffenen, die sich in der „Initiative 19. Februar“ organisiert haben, plädieren für den Marktplatz, wo nach dem Anschlag spontan Blumen und Kerzen niedergelegt wurden. Die Stadt favorisiert als Standort den Heumarkt, den ersten Tatort der Terrornacht vom 19. Februar 2020. Noch gibt es keine Lösung für die emotional und politisch heikle Frage.
Und auch beim offiziellen Gedenken zum zweiten Jahrestag des Anschlags gibt es Misstöne: Am Donnerstag wandte sich die „Initiative 19. Februar“ mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Durch die Auflagen des Landes Hessen könnten beim Gedenken auf dem Hanauer Friedhof nicht alle Interessierten dabei sein, so die Initiative. Die Familien der Ermordeten hätten nicht selbst entscheiden können, wer eingeladen werde. „Darauf zu reagieren, fällt schwer und schmerzt“, so die Initiative. „Wir hätten uns das anders gewünscht.“
Dass der Umgang mit der Erinnerung an Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt heikel und umstritten ist, ist kein neues Phänomen. In Kassel gab es jahrelang Streit über das Gedenken an Halit Yozgat, der dort am 6. April 2006 vom rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in seinem Internetcafé in der Holländischen Straße ermordet worden war. Sein Vater Ismail Yozgat fordert seitdem unermüdlich, die Holländische Straße in „Halitstraße“ umzubenennen, die Stadt entschied sich stattdessen für einen „Halitplatz“ unweit des Tatorts. Ismail Yozgat hat diese Entscheidung bis heute nicht wirklich akzeptiert, immer wieder hat er sein Unverständnis geäußert, warum ihm nicht sein Wunsch erfüllt werden könne – wo ihm doch sein Sohn genommen worden sei.