Telefonieren und Bahnfahren - gleichzeitig
Süddeutsche Zeitung
Die Deutsche Bahn präsentiert ihren neuen Prestigezug ICE 3 Neo, der eher ein alter Bekannter ist. Der Verkehrsminister lobt das Milliardenprojekt vor allem für eine Innovation: Hightech-Scheiben für besseren Handyempfang.
Viel zu feiern gab es bei der Deutschen Bahn in den vergangenen zwei Jahren nicht. Wegen der Corona-Pandemie blieben viele Züge leer. Die Schulden des größten deutschen Staatskonzerns kletterten deshalb auf neue Rekordwerte. Und auch wer einstieg, brauchte viel Geduld. Beunruhigt registrierte die Bahnspitze, dass die Pünktlichkeit und damit auch der Komfort für die Passagiere zuletzt ab- statt zunahm. "Die letzten zwei Jahre waren eine Ausnahmesituation", räumt Konzernchef Richard Lutz ein.
Wie sehr die Bahn derzeit auf positive Nachrichten hofft, machte am Dienstag die Präsentation ihres neuen ICE-Flaggschiffs in Berlin klar. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), Siemens-Chef Roland Busch und Lutz rollten mit pompöser Musik und zu dritt in einem 200 Meter langen ICE im Bahnwerk Rummelsburg am Rande der Hauptstadt ein. Manager und Minister überschlugen sich nach dem Aussteigen mit Lob für das Milliardenprojekt. Der neue ICE sei schnell, fortschrittlich, familien- und fahrradfreundlich, barrierefrei und überhaupt ein Symbol für eine neue Ära der Mobilität.
Wer den Zug allerdings betritt, spürt: Eine Revolution hat die Bahn nicht geordert. Aber so einiges ändert sich tatsächlich. Jeder Sitzplatz hat künftig einen Tablethalter fürs bequemere Filmschauen. An den Eingängen der Großraumabteile haben Designer mehr Platz für Gepäck reserviert. In jedem der neuen ICEs können Kunden künftig immerhin acht Stellplätze für Fahrräder buchen.
Auch Streit mit dem Nachbarn über die Steckdose soll es in den neuen Zügen künftig nicht mehr geben. Zwischen den Sitzplätzen befinden sich zwei Lademöglichkeiten statt nur einer. Die Kinderabteile fallen größer aus, in den Familienabteilen gibt es Platz zum Abstellen von Kinderwagen. Mehr Türen sollen garantieren, dass das Ein- und Aussteigen schneller klappt. Mit einem in den Zug eingebauten Hublift an bestimmten Türen soll der Ein- und Ausstieg für Rollstuhlfahrer leichter werden.
Passagiere werden mit den neuen Zügen erstmals ab Ende des Jahres fahren können. Die ersten ICEs 3 Neo der 30 schon bestellten sollen dann auf der Schnelltrasse zwischen Nordrhein-Westfalen und München fahren. Am Dienstag kündigte die Bahn nun einen weiteren Großauftrag für Siemens an. Weitere 43 Züge für 1,5 Milliarden Euro will die Bahn beim Technologiekonzern bestellen. Bis 2029 soll dann der letzte der 73 Züge ausgeliefert sein. Insgesamt würde die Schnellzugflotte bis Ende des Jahrzehnts so auf insgesamt rund 450 Züge anwachsen, teilte die Bahn mit.