Tears For Fears: „The Tipping Point“ – Noch immer hell und klar wie ein Cherub
Frankfurter Rundschau
„The Tipping Point“, das etwas sehr brave Album von Tears For Fears.
Zu den schöneren Ergebnissen von Popstars ins Netz gestellter Lockdown-bedingter Hausmusik gehört das Vater-Tochter-Duett Curt und Diva Smith: Zu Akustik-Bass und -Gitarre singen die Smiths „Mad World“, einen der größten Hits des Vaters, geschrieben mit Roland Orzabal für ihre Band Tears For Fears.
Tears For Fears, von den beiden Schulfreunden Smith und Orzabal 1981 im englischen Bath gegründet, waren eine der wichtigsten Synthiepop-Bands der achtziger Jahre – und eine der nachhaltigsten: In Hits wie „Pale Shelter“, „Shout“ oder „Everybody Wants To Rule the World“ ist der Zeitgeist der Achtziger zwar unverkennbar, aber die Stücke altern gut bis kaum.
Tears For Fears gelang es, sich in Sound und inhaltlichem Ansatz von vielen Zeitgenossen zu unterscheiden: dezidiert melancholisch, voller Zweifel an sich und der Welt, vielschichtig und mit untrüglichem Gespür für Arrangements. Die Songs bezaubern noch heute durch dramatischen Aufbau und beflügelnde Refrains, das Meisterwerk „Sowing the Seeds Of Love“ ist eine klare Beatles-Referenz: Melodien, Stimmen, Klänge schichten sich zur leuchtend-triumphalen Pophymne auf. Grandios.
Der große Erfolg wurde zur Belastung: Smith stieg 1990 aus. Orzabal veröffentlichte allein zwei Alben unter dem Namen Tears For Fears, bis beide 2004 wieder zusammenfanden, die Platte „Everybody Loves a Happy Ending“ aufnahmen und bei Veranstaltungen wie der Nokia Night Of the Proms auftraten. Das Management riet der Band zum Reiten der Nostalgie-Erfolgswelle und drängte Orzabal und Smith zur Zusammenarbeit mit angesagten Hit-Songschreibern. Das Unterfangen scheiterte. Die beiden wechselten die Berater und schrieben allein weiter an neuen Songs.
Nach 17 Jahren erscheint nun tatsächlich ein neues Album von Tears For Fears, was eine so erfreuliche wie heikle Nachricht ist. Denn man kann gar nicht anders, als Tears For Fears heute mit Tears For Fears damals zu vergleichen (dass jüngere Menschen ohne Achtziger-Sozialisation rein zufällig über ihre Streaming-Playlisten mit diesem Album in Berührung kommen, ist auszuschließen).