
Türkei: "Das Erdbeben haben wir überlebt, jetzt werden wir an einer Epidemie sterben"
DW
Die Provinz Hatay liegt 200 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens entfernt. Doch die Zerstörung ist groß. Menschen harren seit Tagen im Freien aus, verzweifelt, aber auch wütend, berichtet DW-Reporter Alican Uludag.
"Die Rettungskräfte kamen und gingen wieder, weil sie nichts gehört haben". Semire Özalp ist enttäuscht. Seit Tagen wartet die verzweifelte Mutter auf Hilfe. Ihr 25-jähriger Sohn liegt immer noch unter den Trümmern im Stadtteil Armutlu in Hatay. "Die Helfer haben anscheinend kein Zeichen gehört", erzählt sie traurig der DW. "Aber am ersten Tag gab es doch noch ein Geräusch" wiederholt sie.
Özalp ist verzweifelt, auch am fünften Tag fleht sie die Mannschaften vor Ort an, nach ihrem Sohn zu suchen. "Vielleicht ist er nicht tot, vielleicht können wir ihn lebend finden". Doch die Rettungsmannschaft zieht weiter. "Ein Team kommt, ein Team geht, niemand hilft. Wir sind machtlos, wir erreichen doch nichts mit bloßen Händen, wir brauchen Maschinen", so die Semire Özalp mit zittriger Stimme.
Fehlende Helfer, fehlende Maschinen und Geräte: Das ist aber noch nicht alles. Neben den Such- und Rettungsaktionen herrscht in Hatay auch nach fünf Tagen weiterhin Chaos. Überall liegen Essensreste und Müll. Starker Verwesungsgeruch breitet sich aus. Kein Wasser, keine Latrinen. In der Stadt befürchtet man nun nach dem Erdbeben den Ausbruch einer Epidemie.
Die gesamte Umgebung rund um die aufgestellten Zelte, von denen es eh viel zu wenige gibt, hat sich aufgrund mangelnder Reinigung in eine Müllhalde verwandelt. Zum einen sind die Leichen unter den Trümmern noch immer nicht beseitigt, zum anderen besteht in der Stadt aufgrund der fehlenden Latrinen und des fehlenden Leitungswassers die Gefahr, dass Krankheiten ausbrechen. In den Parks, in denen Zelte aufgestellt sind, gibt es nur zwei Toiletten, in denen seit Tagen kein Wasser fließt, berichten die Menschen. Dennoch müssen die Menschen hin. Die Städtische Reinigung arbeitet nicht. Menschen werfen ihren Müll um die Zelte herum. Dort entstehen auch langsam Müllberge.
Ein junger Freiwilliger aus dem Katastrophengebiet sagt: "Wir haben das Erdbeben überlebt, aber wir haben Angst, dass wir uns eine Krankheit einfangen. Ich habe selbst ein Erdbeben überlebt. Ich wollte als Freiwilliger arbeiten. Gerade wollte ich einen Müllsack kaufen. Es gibt aber keine Müllsacke.", so der Mann. "Alles ist so schlimm. Wir befinden uns in einer sehr schlechten gesundheitlichen Situation. Mit anderen Worten: Es kann jeden Moment zu einer Epidemie kommen. Leichen sind eine Sache, Müll die andere".