Stichwahl in Chile: Wird der Neofaschist José Antonio Kast neuer Präsident?
Frankfurter Rundschau
Das südamerikanische Land Chile steht vor einer historischen Stichwahl: Die finale Entscheidung zwischen José Antonio Kast und Gabriel Boric fällt am Sonntag.
Santiago – Beatriz Carmona hat sich auch nach fast vier Wochen noch nicht von dem erholt, was am 21. November in ihrem Land passiert ist. Das Ergebnis der ersten Runde der chilenischen Präsidentenwahl hat die 40-Jährige beinahe in Alpträume gestürzt. Erinnerungen an die dunkelsten Zeiten Chiles, die sie nur als Kind erlebte, kamen hoch. Carmona hatte befürchtet, dass der neofaschistische Kandidat José Antonio Kast ein gutes Ergebnis erzielen würde. Aber dass er die erste Runde mit 27,91 Prozent gewinnt und nun gute Aussichten hat, am Sonntag (19.12.2021) bei der Stichwahl Präsident zu werden, das lässt die politische engagierte Mutter an Flucht denken. „Wenn Kast gewinnt, dann packe ich meine Tochter und meinen Mann und wir gehen ins Exil.“
Kast, 55, Sohn eines eingewanderten Wehrmachtsoffiziers, der in Chile als Wurstfabrikant reüssierte, weckt bei Millionen Chilenen Erinnerungen an die Zeit der Diktatur von Augusto Pinochet. Sie endete 1990 nach 17 Jahren Gewaltherrschaft. Nun droht gut dreißig Jahre später eine Art Post-Pinochetismus. Der ultrarechte Kandidat, für den der frühere Diktator ein Vorbild ist, rechnete wohl vor Monaten selbst nicht damit, dass er plötzlich so nah vor dem Präsidentenpalast stehen würde.
Sein Diskurs war dermaßen ultrarechts und rückwärtsgewandt, dass kaum jemand für möglich hielt, dass er gerade in Chile verfangen würde. Das Land, in dem noch die Sozialrebellion von 2019 nachwirkt, mit der ein Großteil der Bevölkerung gegen ein zutiefst neoliberales und ungerechtes Sozial- und Wirtschaftsmodell aufbegehrte.