Stefan Meister: "Wandel lässt sich nicht aufhalten"
DW
Ukraine, Belarus und jetzt Kasachstan. Im DW-Interview erläutert der Politologe Stefan Meister, welche Veränderungen sich derzeit im postsowjetischen Raum vollziehen und was dies letztlich für Russland bedeutet.
Deutsche Welle: Herr Meister, wie bewerten Sie die aktuellen Ereignisse in Kasachstan?
Stefan Meister: Das sind die stärksten Proteste, die wir seit Jahren in Kasachstan erleben. Sie betreffen nicht nur eine bestimmte Region, sondern mehrere Teile des Landes. Die Leute sind voller Wut. In der Bevölkerung scheint sich einiges angestaut zu haben. Die ganze Diskussion um die steigenden Gas- und Energiepreise ist letztendlich der Auslöser für Frustration, und wir sehen eine gewisse Handlungsunfähigkeit der Machteliten, die scheinbar vom Ausmaß und der Gewalt der Proteste völlig überrascht sind.
Was sind die Gründe für den Konflikt?
Wir haben eine Machtelite, die trotz des Abtritts des ehemaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew an der Macht geblieben ist und weitermacht wie vorher, ohne grundlegende Veränderungen im Land. Wir sehen, dass die Preise steigen, auch durch COVID und die ganze Situation mit der Pandemie. Der sozioökonomische Druck auf die Bevölkerung wächst, und gleichzeitig haben wir stagnierende Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen im Land. Es ist ein Einkommensverlust für die Bevölkerung und es gibt keine Perspektive auf Veränderung.
Sie sagen, die Kasachen seien wütend. Auch die Belarussen sind vor Wut auf ihren Machthaber auf die Straße gegangen. Kann man die Verhältnisse vergleichen?