
Soziologe zu „Querdenken“-Demos: „Es geht ums Ganze“
Frankfurter Rundschau
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer warnt vor rechten Bedrohungsallianzen, die bei Demonstrationen der „Querdenker“ in Deutschland entstehen können.
Bielefeld – Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer sieht die Gefahr von rechten Bedrohungsallianzen, die sich bei „Querdenken“-Demos zeigen. Er spricht von einer „asymmetrischen Polarisierung“ nach dem Motto „Leise Mehrheit, laute Minderheit“.
Herr Heitmeyer, wenn Sie die Corona-Proteste und die „Querdenken“-Demonstrationen sehen: Was ist das Bedrohliche an der aktuellen Situation?
Es ist das Zusammenwirken mehrerer Mechanismen. Da ist die systemische Krise, die die gesamte Gesellschaft betrifft. Hinzu kommen erfahrene oder gefühlte Kontrollverluste, dass man die äußeren Umstände nicht mehr selbst beeinflussen kann. Drittens hat sich ein eskalationsträchtiger Konflikttyp herausgebildet.
Sie warnen vor einer Radikalisierung der Proteste gegen die Corona-Politik. Ist es nicht eigentlich ein gutes Zeichen, wenn der Streit über Grundwerte öffentlich ausgetragen wird?
Das hat in der Tat etwas Gutes. Jede moderne Gesellschaft ist eine Konfliktgesellschaft. Jeder soziale Wandel wird über Konflikte vorangetrieben, denken Sie an die Frauenbewegung, denken Sie an die Umweltbewegung und so weiter. Hier haben wir es aber mit einer anderen Entwicklung zu tun, nämlich mit einer Veränderung von Öffentlichkeit. Wir haben gar nicht mehr eine Öffentlichkeit, in der gestritten wird. Wir müssen mit dem Plural arbeiten: Öffentlichkeiten.