Schweiz-Tatort „Schattenkinder“: Finstere Wolken überm Zürisee
Frankfurter Rundschau
Der Schweiz-Tatort „Schattenkinder“ bleibt in Klischees zu Kunst und Schmerz stecken. Überzeugend: die etwas freudlosen Ermittlerinnen.
Ein leicht überspannter „Tatort“ aus Zürich, einer Krimistadt, die auf ihre Weise – für ein Frankfurter Publikum immer ganz interessant – einen Wohlstands-, Drogen- und Linkes-Milieu-Ruf verteidigt und variiert. Das Geld ist dort oft älter als in Frankfurt-Krimis, und hinter dem bürgerlich Saturierten ist viel Therapiebedarf. In „Züri brennt“ ging es darum, wie die Jugendunruhen aus den 80ern in die Gegenwart wirken, in „Schokiläbbe“ um böse reiche Süßwarenfabrikantinnen. Und auch der dritte Fall für das Team Ott/ Grandjean wird durchaus grundsätzlich.
Während man vor dem Fernseher vielleicht eher augenrollend das Kunstprojekt verfolgt, mit dem ein smarter und außerordentlich uninteressanter Zürcher Galerist eine Menge Geld auf Kosten verzweifelter Menschen machen will, fühlt sich die Kommissarin Ott überraschenderweise davon angesprochen. „Wir müssen mit dem Schmerz in Verbindung treten“, das sind so Wendungen aus dem Formelbaukasten, die der Künstlerin Kyomi über die Lippen kommen, ohne dass sie mit der Wimper zucken würde. Oder: „Nur Wunden, die man zeigen kann, können heilen.“ Sarah Hostettler ist das, die dabei wirklich so ausschaut und auch schaut, wie ein Galerist, der Geld verdienen will, sich eine Künstlerin immer vorgestellt haben dürfte. Die Kunst selbst ist aber kompliziert und simpel zugleich. Kompliziert in der Herstellung, simpel im Gehalt. Der sichtbarste Teil ist, dass einige glücklose junge Menschen, die titelgebenden „Schattenkinder“, sich von Kyomi aufwendig und schmerzhaft tätowieren lassen. Auch an heiklen Stellen und mit heiklen Stellen sind zum Beispiel die Augäpfel gemeint.
Wäre Ott nicht so fasziniert, hätte man längst abgewunken (Grandjean hingegen: konsequent angeekelt). Folgender sehr kurzer Dialog bringt die Gemengelage auf den Punkt und auch, dass es komplexer als das nicht mehr wird: „Wenn ich mich nicht mehr im Spiegel erkenne, befreit mich das von mir selbst?“, sagt Ott. „Wenn Sie sich nicht mehr im Spiegel erkennen, brauchen Sie eine Brille“, sagt Grandjean.
Wer bei der Arbeit selbst unglücklich ist, wird durch das kühle Verhältnis, das die beiden Ermittlerinnen nun schon in der dritten Folge weitgehend aufrechterhalten, nicht ermutigt. Auch wenn es hier doch noch mal gutgeht. Denn es ist unangenehm für Ott, dass im Zuge eines Dienstaufsichtsverfahrens (eine Folge von „Schokiläbbe“) auch Grandjean sie und ihre Verlässlichkeit als Partnerin beurteilen soll. Carol Schuler als Tessa Ott und Anna Pieri Zuercher als Isabelle Grandjean sind als Typen überzeugender als die Gesamtsituation. Und die Drehbuchautorinnen Stefanie Veith und Nina Vukovic wie die Regisseurin Christine Repond können mit dem nicht immer unanstrengenden Umgang von Frauen untereinander einiges anfangen.
Dass die Sängerin Schuler diesmal auch zum Singen kommt: Der günstigen Gelegenheit geschuldet und der Tatsache, dass irgendwie noch Zeit gewesen sein muss. Denn weder mit dem Kunstprojekt, das – hier flackert immer wieder einmal Empörung auf – Menschen zu Kunstobjekten macht (zu machen scheint), noch mit den psychologischen Hintergründen plant „Schattenkinder“ eine markante Vertiefung: Die Kunst, die noch dazu auf designerhaft wirkende Videos hinausläuft, ist ein Klischee von Kunst. Die verheerende Missbrauchsthematik, die mit Blick auf die psychologische Seite aufgerufen wird, dient letztlich bloß als Vehikel, um den wahnhaften Anteil zu begründen. Der aber insofern doch bloß skandinavischen Krimi in der Schweiz spielt, inklusive einer möglichst aufwendig schaurig dargebotenen Leiche.