
Schreiben unter Druck: Aktuelle Lyrik im Iran
DW
Moderne persische Lyrik ist wenig erbaulich: Dem lyrischen Ich ist das Feiern des Daseins mittels souveräner Sprachkunst abhanden gekommen.
Nichts brauchen Dichter dringender als Sprache. Ohne sie wären ihre Arbeit nicht zu denken: Ein Dichter ohne Sprache wäre keiner mehr. Doch eben das kann passieren: Die Sprache kann sich verweigern, zumindest ihre Selbstverständlichkeit verlieren. Was eigentlich passiert, fragt der Dichter Mohammad Mokhtari, "wenn der stein den weg zum mund tausendmal erprobt hat / wenn die stimme bräche / wenn das wort eitert / wenn die sätze zu auslassungszeichen werden"?
Mohammad Mokhtari kann auf die in seinem Gedicht "schlaflosigkeit" gestellte Frage keine Antwort mehr geben: Er wurde im Dezember 1998 verschleppt und nach einigen Tagen tot aufgefunden. Er starb in der Zeit der sogenannten "Kettenmorde" in den 1990er Jahren. Damals verschwand eine ganze Reihe regimekritischer Intellektueller. Mehrere Geheimdienstmitarbeiter wurden 2001 in einem Prozess wegen Mordes verurteilt. Beobachter gehen allerdings davon aus, dass die eigentlich Verantwortlichen für die Morde aus den höchsten Rängen der iranischen Staatsspitze stammten.
Tatsächlich nähmen Dichter im Iran bis heute ein erhebliches Risiko auf sich, sagt Madjid Mohit, der Gründer des in Bremen ansässigen Sujet-Verlags. Mohit hat bereits mehrere Anthologien zur persischen Lyrik herausgegeben. Die jüngste mit dem Titel "Ein Dieb im Dunkel starrt auf ein Gemälde" widmet sich den Dichtern der Gegenwart, und zwar aus den drei Staaten, in denen Persisch (Farsi) gesprochen wird, also neben dem Iran Afghanistan und Tadschikistan.
Seitdem er - anfänglich noch im Iran - als Verleger arbeite, habe er Erfahrungen mit der Zensur in der islamischen Republik gemacht, sagt Mohit im Gespräch mit der DW. "Wenn man Anfang der 1980er Jahre die Treppe zur Zensurbehörde hochstieg, stieß man vor der Buch- und Presseabteilung auf ein großes Plakat. Darauf stand, die Bedeutung der Presse und der Bücher sei noch höher als das Blut sämtlicher gefallener Märtyrer." Was das bedeutete, darüber war sich damals jeder im klaren, so Mohit: "Verleger und Dichter sollten sich dreimal überlegen, was sie veröffentlichen würden."
Auf diese Gefahr hätten sich die Dichter eingestellt. Unter dem Schah habe es bestimmte Codewörter gegeben, die das Publikum verstanden habe, sagt Mohit. Fielen sie, wussten die Leser, auf welche Person oder welches Ereignis der jeweilige Dichter anspielte. Das habe sich heute geändert, die Dichtung sei insgesamt transparenter geworden, sei weniger verschlossen, teilweise auch vieldeutiger.