Sag mir, wo die Filmstars sind
Süddeutsche Zeitung
Am Donnerstag eröffnet die Berlinale. Sind die Filme das Wagnis eines Präsenzfestivals mitten im Omikron-Sturm wert?
Für Hypochonder war die Berlinale auch ohne Omikron schon eine Herausforderung. Der Festival-Soundtrack, dem Berliner Februar geschuldet, ist stets ein orchesterartiges Niesen, Röcheln, Räuspern und Hustenbonbonauswickeln. Letzteres ist eine Kulturtechnik, die besonders furchtbar wird, wenn mehrere Hundert Anwender im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz gleichzeitig versuchen, sie geräuschlos auszuüben. Das ist natürlich unmöglich, und über die Jahre hätte man schon so manchem Sitznachbarn gerne ins Gesicht geschrien, er möge sich das verdammte Pfefferminz endlich in den Mund schieben und still sein.
Als in den vergangenen Wochen die Infektionszahlen stiegen und stiegen, glaubte kaum jemand daran, dass die Berlinale als Präsenzfestival stattfinden würde. Alle klassischen Winterviren plus Corona, die auf dem größten deutschen Filmfestival eine Wirts-Blinde-Date-Party feiern? Es wurde gemunkelt, intern werde eine Verlegung in den Sommer diskutiert. Aber die Berlinale-Chefs Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, als Doppelspitze seit 2019 im Amt, wollten unbedingt am Februartermin festhalten. Das kann man aus ihrer Sicht auch gut verstehen. Die großen Festivals, insbesondere Berlin, Cannes und Venedig, stehen in harter Konkurrenz um die besten Filme, die größten Stars; wenn die Berlinale sich genau zwischen Cannes (Mai) und Venedig (August/September) setzen würde, wäre der Kampf noch härter als ohnehin schon.
Rissenbeek, Chatrian und ihr Team haben also ein Konzept erarbeitet, um die Berlinale trotz Corona möglich zu machen, und die Berliner Behörden haben es abgesegnet. Am 10. Februar geht's los, mit reduzierten Platzkapazitäten und FFP2-Masken, und ohne die sonst obligatorischen Partys und Empfänge. Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte die Entscheidung stolz ein "Signal an die gesamte Filmbranche", die von der Pandemie so gebeutelt war und ist und die endgültige Netflixisierung fürchtet.
Denis Ménochet und Isabelle Adjani im Berlinale-Eröffnungsfilm "Peter von Kant".
Damit hat sie natürlich recht. Es ist ein Signal, vor allem für die Kulturinstitution Kino. Als Rissenbeek und Chatrian am Mittwoch die Filme des offiziellen Wettbewerbs vorstellten (ohne Publikum, per Livestream), war man dann aber doch noch neugieriger als sonst auf die Werke, die sie da verkündeten. Denn die Berlinale hat in den vergangenen Jahren (schon unter dem ehemaligen Festivalchef Dieter Kosslick) auch ohne Corona leider schon oft nur den Platz hinter Cannes und Venedig belegt, was die Ausbeute anging. Nichts gegen Filmkunst und Experimente, gegen langgediente, aber trotzdem unbekannt gebliebene Autorenfilmer, gegen Neuentdeckungen und Schwerpunktreihen zu bislang vernachlässigten Filmnationen in den entlegensten Winkeln der Welt. Aber als A-Festival braucht man zusätzlich schon a bisserl Glamour.