Russlands Sportler: „Masterclass in Verrat“
Frankfurter Rundschau
Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa, einst Vorzeigepatriotin Putins, ist nach Teneriffa umgezogen und geht auf Distanz zum Kreml - nicht als einzige
Die Frau ist stolz auf sich. „Ich bin Jelena Issinbajewa, eine Legende der globalen Leichtathletik und des Stabhochsprungs“ verkündete sie vor einigen Tagen im russischen Sozialnetz vk.com. Dann zählte die aktuelle Weltrekordlerin und zweifache Olympiasiegerin ihre sportlichen Meriten auf, erwähnte auch die „allerhöchsten staatlichen Auszeichnungen“, die sie in der Heimat erhalten hatte. Aber sie sei ein Weltmensch, so die 41-Jährige. „Ich lebe, wo ich arbeite, ich esse, was ich liebe, rede mit Leuten, die ich achte.“ Kein Wort über Russland, Wladimir Putin oder die Ukraine.
Die Modellathletin mit den großen graublauen Augen und dem chronischen Siegerlächeln ist die mit Abstand umstrittenste Neubürgerin Spaniens. Dabei war die Wolgograderin in ihrer aktiven Zeit auch wegen ihres kosakischen Charismas Liebling der internationalen Sportwelt. Aber sie gehörte zu den russischen Topathletinnen, die ihre Rekorde für einen sozialen Lift in Putins politische Elite nutzten. Issinbajewa erboste sich lautstark über westliche Dopingvorwürfe oder über Toleranz gegenüber LGBTlern. Und sie gehörte zum „Putin-Team“, wo russische Sport- und Popstars Putins Präsidentschaftswahlkampf 2018 bejubelten. Sie feierte die Annexion der Krim, besuchte russische Truppen in Syrien, saß sogar in der Kommission, die auf Geheiß des Staatschefs 2020 die russische Verfassung umschrieb – obwohl sie Putin vor laufender Kamera fröhlich lächelnd beichtete, sie habe das Grundgesetz vorher nie gelesen.
Aber Mitte des Monats wurde bekannt, dass die Kreml-Vorzeigepatriotin mit einer spanischen Aufenthaltserlaubnis auf Teneriffa lebt. Und dass sie sich dort betont neutral gibt. „Issinbajewa hat eine Masterclass in Verrat gezeigt“, schimpft das nationalistische Portal Zargrad.
Die mehrfache Weltsportlerin ist zur globalen Unperson geworden. Moskaus sprechende Köpfe empören sich über die Treulosigkeit des Stars in „diesen schweren Zeiten“, während Exiloppositionelle und westliche Medien fragen, warum die Majorin der russischen Armee weiter zur IOC-Athletenkommission gehört. Denn die im März veröffentlichten Richtlinien des Olympischen Komitees verbieten Russen die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen, wenn sie den Streitkräften oder Sicherheitsorganen angehören. Ruslan Schawedinow, Aktivist der Antikorruptionsstiftung FBK, sagt, die Frau, „die den Krieg in der Ukraine mit ermöglicht hat“, gehöre auf die internationalen Sanktionslisten.
Issinbajewa ist keineswegs die einzige russische Athletin, die mehr oder weniger demonstrativ auf Distanz zu ihrem kriegführenden Heimatstaat gegangen ist. Auch der Eishockeystar Alexander Owetschkin, Gründer des Putins-Teams und Rekordtorjäger der NHL, hat dem Staatschef seit 2020 nicht mehr zum Geburtstag gratuliert. Nach Beginn der Kämpfe in der Ukraine erklärte er, Putin sei sein Präsident, aber „bitte keinen Krieg mehr“. Die Fußballnationalspieler Igor Denissow, Wassili Beresuzkij, Fjodor Smolow und Alexander Kerschakow machten in Interviews oder auf Instagram Front gegen den Krieg, ebenso die Tennisprofis Daniil Medwedew, Andrej Rubljow und Daria Kassatkina, die Eiskunstlaufstars Alexej Jagudin sowie Jewgenija Medwedewa. Die Mehrheit von ihnen hat das Land verlassen.