
Russland-Ukraine-Konflikt: „Putin wird immer Angst haben“
Frankfurter Rundschau
Wladimir Putin wandelt im Ukraine-Konflikt diplomatisch und militärisch am Rand des Abgrundes – das politische Psychogramm des einsamen Mannes im Kreml.
Moskau - „Ich kann mit Zuversicht sagen: Das Hauptziel der Innenpolitik Russlands ist vor allem die Gewährleistung der demokratischen Rechte und der Freiheit.“ Wladimir Putin sprach Deutsch. Trotz mancher Ungeschicktheit schlage „unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist“. Einen Moment später erhob sich der Deutsche Bundestag geschlossen und applaudierte Russlands jungem Präsidenten.
Putins umjubelter Auftritt in Berlin ist fast 20 Jahre her. Und die Botschaften des russischen Präsidenten an die westliche Welt klingen nun ganz anders: „Warum haltet Ihr uns für Blödmänner?“, fragte der russische Staatschef einen BBC-Reporter schon im Dezember 2020.
Die ukrainische Regierung berichtet von inzwischen 127.000 russischen Soldaten, die mit schweren Waffen in Grenznähe konzentriert sind. Westliche Fachleute befürchten, Putin könne jederzeit eine Invasion beginnen. Er will der Nato nicht nur neue östliche Mitglieder verbieten, sondern sie militärisch auch auf die deutsch-polnische Grenze zurückschieben – also zur Frontlinie des Kalten Krieges. Reagiert der 69-jährige aus Angst? Oder will er so den Respekt des Westens zurückerobern? Wie tickt der einstige Stargast des Bundestages nach 22 Jahren an der Macht?
Schon vor der Annexion der Krim 2014 diskutierten westliche Psychologen und Medienleute, ob Putin ein Psychopath sei. Viele sahen Angela Merkels Worte, Putin lebe „in einer anderen Welt“, als Bestätigung, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. Aber der ukrainische Schriftsteller Boris Chersonski warnt seine Landsleute, sie sollten Putin nicht unterschätzen. „Unser Feind ist klug, machtbewusst, misstrauisch und impulsiv.“ Aber weder sei er debil noch schizophren.
Putin ist nicht der einzige Russe, der sich von der Nato bedroht fühlt. „Die Nato hat Jugoslawien angegriffen, wie können wir ausschließen, dass sie Russland angreift?“, fragt der oppositionelle Publizist Maxim Schewtschenko. Wer garantiere Russland, dass die USA nicht versuchten, Russlands Atomarsenal technisch auszuschalten? Warum sei die Nato bis ins Baltikum vorgerückt, von wo aus ihre Raketen Sankt Petersburg in 20 Sekunden erreichen können?