Ruhelos durch Berlin
Süddeutsche Zeitung
Die Hauptstadt ist immer auch stolz auf ihre Schäbigkeit. Vier Bücher rücken diese nun ins rechte Licht.
Berlin ist eine anstrengende Stadt. Dafür wird sie geliebt. Weil sie ständig in Bewegung ist, immer unfertig, immer im Aufbruch begriffen. Und nie saturiert. Wenig hat Bestand in der Hauptstadt, das zeigen vier aktuelle Berlin-Bände besonders anschaulich - am Beispiel zweier Prachtboulevards, eines zentralen Platzes und der vielen Brachen, die sich immer wieder auftun im urbanen Raum. Vielerorts präsentiert Berlin sich als eine ruppige Stadtlandschaft mit vielen Wunden. So auch auf den eigenwilligen Fotografien und in den spannenden Geschichten dieser Bücher.
Das KaDeWe und das Café Einstein sind nicht weit. In der Kurfürstenstraße gibt es aber auch solche Brachen.
Würde stimmen, was da steht, wäre die These von Rainer Haubrich trotzdem zu halten: Bis heute zehre der Kurfürstendamm in Berlin vom Ruhm, so der Autor, den der Boulevard sich zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Machtergreifung der Nationalsozialisten erworben habe, und zwar "durch seine eigentümliche Mischung aus großbürgerlichen Wohnungen, Luxusläden, Terrassencafés, Restaurants, Anwalts- und Arztpraxen, Max-Reinhardt-Theatern und Uraufführungskinos". Innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne also. Haubrich bemisst sie auf 24 Jahre, tatsächlich waren es jedoch nur 14 Jahre, von 1919 bis 1933.
In dieser Phase hat der Boulevard tief im Westen Berlins der Prachtstraße Unter den Linden in Mitte den Rang als erste Adresse der Stadt abgelaufen und Weltgeltung erlangt. Haubrich kapriziert sich in seinem Band "Der Kurfürstendamm" aber nicht auf diese ruhmreiche und deshalb schon oft geschilderte Episode. Er geht vielmehr zurück zu den Anfängen der Straße, die ihren Namen trägt, weil ein sogenannter hölzerner Knüppeldamm den Weg befestigte, den die Kurfürsten durchs Sumpfland hinaus zu ihrem Jagdschloss Grunewald nahmen. Andererseits folgt Haubrich der Geschichte bis in die Gegenwart. Er schildert also, wie der Kurfürstendamm werden konnte, was er zur Glanzzeit war. Und wie er sich danach in der erst kriegszerstörten, dann geteilten, schließlich wiedervereinigten Stadt immer wieder gehäutet hat auf der Suche nach einer neuen Rolle und einem neuen Publikum. Das alte - Linksintellektuelle, Kosmopoliten, progressive Künstler - hatten die Nazis vertrieben, nicht selten ermordet.
Es stand, Ende der 1970er-Jahre, besonders schlimm um den Kurfürstendamm: Souvenirshops und Schnellrestaurants, Peep-Shows und Pornokinos, dazu die Drogenszene am Bahnhof Zoo. Davon hat er sich teilweise erholt. Aber nicht von seiner Rolle als Maskottchen des alten bundesrepublikanischen Westens. Das hippe Berlin ist woanders. Aber das kann man am Kurfürstendamm ja auch schätzen.