Robert Schneider „Buch ohne Bedeutung“: Wenn Erdbeeren streiten, freut sich die Zitrone
Frankfurter Rundschau
Robert Schneiders Prosaband „Buch ohne Bedeutung“ entwirft ein höchst lebhaftes Gemälde der Gegenwart.
Zwei Einkaufswagen sinnieren über die Fessel des Kapitalismus, derweil bezeichnet ein Windbeutel Unmut seinen Schokoladenüberzug als rassistischen Affront. Und wenn sich nicht gerade Kühe ihre gegenseitigen Klimabilanzen vorhalten, beklagt ein Paar Schuhe den buchstäblichen wie auf unser Parteiensystem gemünzten Profilverlust. Denn in der letzten Zeit habe der „rechte“ den „linken“ ohnehin nur noch kopiert. Wohnt solchen Begegnungen reichlich spinnerte Komik inne, laufen sie doch vor einer realen Kulisse ab, nämlich der Diskurslandschaft unserer Tage, die mit allerlei Anti-Anti auch so manche Ab- und Irrwege offenbart.
Indem Robert Schneider den Austausch darüber in den Mund von Dingen legt, spitzt er die wohl aus seiner Sicht unbestreitbare Absurdität mancher Scheindebatte kräftig zu. Dabei versammeln die 101 jeweils eineinhalb Seiten umfassenden Prosaminiaturen in seinem neuen Band „Buch ohne Bedeutung“ mehr als bloße gesellschaftskritische Finten. Mal dringen sie zu den menschlichen Abgründen vor, wenn sie von Rachedramen und Seitensprüngen berichten, mal folgen sie den Reisewegen Goethes oder schwingen sich in die Sphäre der Träume auf.
Was diese pointierten Fingerübungen des Erzählens eint, sind letztlich existenzielle Fragen der Conditio humana, eben die Sinnsuche, das Altern und die Angst vor der Vergänglichkeit, wie sie so traurigschön eine vom Himmel fallende Schneeflocke befällt. Die Figuren erweisen sich häufig als entwurzelt und enden nicht selten als Opfer des Schicksals. Getrieben werden sie zumeist von dem Wunsch nach einem anderen Dasein. Ein Messer hofft darauf, endlich ein Löffel zu werden, und ein verlorener Brillant sehnt sich anfangs zurück an seinen Platz in der Gesteinsschicht, bis er „plötzlich Gefallen daran (fand), niemandes Erinnerung mehr zu sein.“ Dieses Fazit erweist sich als programmatisch: Dem raschen Treiben der Welt setzen diese Texte vor allem die Tugend der Gelassenheit entgegen.
Loszulassen bedeutet jedoch nicht ausschließlich, sich von Zwängen zu lösen. Vielmehr versteht sich ebenso Schneiders Auswahl skurriler Protagonisten als ein emanzipatorischer Akt. Zwar begegnen wir auch vielen menschlichen Personen, aber gerade dort, wo Tiere, Pflanzen und Gegenstände eine Stimme erhalten, geben die literarischen Entwürfe ein Jenseits des Anthropozentrismus zu erkennen.
Ganz im Sinne des Posthumanismus, wie ihn Donna Haraway oder Bruno Latour theoretisch ausarbeiteten, bildet der erzählerische Kosmos des 1961 in Vorarlberg geborenen Autors eine Welt ab, die das Prinzip der Gleichheit jenem der Hierarchie vorzieht. Die Natur gelangt zur Eigenständigkeit, gänzlich ohne humane Lenkung – und mit einem unvergleichlichen Sound!