
Real Madrid gewinnt die Champions League - und keiner weiß warum!
RTL
Die Madrilenen hatten ihre bemerkenswerte Reise durch Europa vollendet. Sie hatten tatsächlich das Finale der Königsklasse im Stade de France gewonnen, das...
Luka Modrić war entkräftet ausgewechselt worden. Und mochte nicht mehr hinschauen. Auch Marcelo, diese Legende von Real Madrid, die im europäischen Fußball alles gesehen hatte, hatte noch Zweifel im Blick, als die fünfte Minute der Nachspielzeit im Finale der Champions League zwischen den Königlichen aus der spanischen Hauptstadt und dem FC Liverpool angebrochen war. Das Team dieser alten Helden führte noch immer mit 1:0 gegen die Mannschaft von Jürgen Klopp. Der war All-in gegangen und hatte sein Team auf volle Attacke gepolt - Abwehrhüne Virgil van Djik gab die kopfballgefährliche Sturmwucht, um den Niederländer herum wirbelten vier kleine Angreifer. Real wankte, Real kämpfte, Real fiel aber nicht. Abpfiff. Erleichterung. Tränen.
Die Madrilenen hatten ihre bemerkenswerte Reise durch Europa vollendet. Sie hatten tatsächlich das Finale der Königsklasse im Stade de France gewonnen, das von einem fürchterlichen Chaos beim Einlass der Zuschauer überschattet worden war. Real hatte gewonnen, gegen alle Widerstände. Niemand hatte der Mannschaft zu keiner Zeit diesen Erfolg zugetraut. Bis zum Endspiel waren die Königlichen nie Favorit in der Knockoutphase gewesen.
Nicht gegen Milliarden-Depp Paris St. Germain, der bereits im Achtelfinale kollabiert war. Nicht gegen Titelverteidiger FC Chelsea, nicht gegen das so dominante Manchester City des verzweifelten Josep Guardiola. Und nun auch nicht gegen die Reds. Warum das so war? An der Antwort auf diese Frage arbeiten sich Experten seit Wochen ab - und scheitern. Real ist auf eine bizarre und faszinierende Weise erfolgreich, die jeder Logik des modernen Fußballs widerspricht.
Und vor allem jeder Statistik. Während Liverpool das Tor der Königlichen, bestens behütet vom so überragenden Thibaut Courtois, mit Abschlüssen zupflasterte, gönnte sich Real gerade einmal drei Versuche. Nur einer ging aufs Tor, aber der saß. Der von Vinicius Junior, in der 59. Minute. Ob das verdient war? Diese Frage stellt sich nicht.
Nicht für dieses Real. Denn dieses Real ist nicht mehr das "weiße Ballett", das es jahrelang war. In dieser personellen Besetzung. Oder auch mit den ikonischen Zauberern Raul, Luis Figo, Zinedine Zidane oder Cristiano Ronaldo. Wenn man so will, ist das Real des Frühsommers 2022 ein geniale Altmeistertruppe im Blaumann. Die Magie ist der Maloche gewichen - garniert mit den vielleicht wirklich letzten großen Momenten der alternden Helden. Karim Benzema, der derzeit wohl beste Stürmer der Welt, ist 34 und ein halbes Jahr alt. Modrić, der Fußball-Mozart, will 37. Auch Kroos, Casemiro und Courtois haben vorne bereits ein 3 stehen.
Aber Obacht mit Abgesängen! Die werden seit Jahren auf dieses Ensemble angestimmt, nur wehren sich die Stars in den entscheidenden Momenten einer Spielzeit arg beharrlich sich diesem Schicksal zu ergeben. Ebenso wie Trainer Carlo Ancelotti. Auch dessen großartige Karriere schien bereits vorbei - seit er bei FC Bayern gescheitert war. Nach einem desaströsen 0:3 bei Paris St. Germain flog er am 28. September 2017 in München raus. Eine Entscheidung, die den Klub mächtig aufribbelte, denn sie mochten den gemütlichen Maestro doch wirklich so gerne, verzweifelten aber an dessen Gemütlichkeit in der Trainingsgestaltung. Und schließlich auch an den Ergebnissen. Ancelotti zog weiter. Aber weder beim SSC Neapel, noch beim FC Everton arbeitete er so glorreich wie in den Jahren zuvor. Seine Karriere, sie schien auszutrudeln.
Doch nun ist er wieder da. In Paris, wo einst sein Bayern-Schicksal besiegelt worden war (allerdings im Parc de Princes), krönt er sich zur Legende. Als erster Trainer gewinnt er viermal den Henkelpott, nachdem er erst vor wenigen Wochen der erste Trainer gewesen war, der in den fünf europäischen Topligen Meister wurde. Was für eine irre Geschichte. Wieder eine gegen alle Widerstände. Dass er vor einem Jahr nach Spanien zurückgekehrt war, das war eine Sensation. Man soll mit Superlativen ja vorsichtig sein. Aber ja, es war eine Sensation.
Er löste Zinedine Zidane ab, der seinen Job vorzeitig gekündigt und sich anschließend in einem bitteren Abschiedsbrief über die Führung von Real Madrid beklagt hatte. Anelotti, ein Nothelfer? Dios mio! Real stattete den Routiner mit einem Dreijahresvertrag aus. Seine Mission lautete als nicht nur "Retter in der Not", wie die "AS" schrieb, seine Mission lautete auch Umbruch. Ein Wort, bei dem sie in München in Kombination mit Ancelotti heftig Herzrasen bekommen. Auf den Wegfall des starken Rückgrats Philipp Lahm und Xabi Alonso fand er keine Lösung. Wilde und wildeste Rotation brachten keinen Erfolg. Und hätte der Italiener auf das kritische Lupfen der Augenbraue nicht ein Patent, man wäre im Kollektiv geneigt gewesen, mimisch zu staunen.