
Rainer René Mueller und seine Gedichte – Der Traum vom Semikolon
Frankfurter Rundschau
Vertrauen ins Wort, penible Aufmerksamkeit für den Buchstaben: Rainer René Muellers Lyrik in einem Band.
Rainer René Mueller, 1949 in Würzburg geboren, besteht darauf, dass sein Name nicht in der Form „Müller“ gedruckt wird. Sein Stiefvater – er selbst war das uneheliche Kind einer Vertriebenen, einer „hergelaufenen“ Flüchtlingsfrau, wie er schreibt, die in der Nähe von Würzburg auf der Suche nach einer neuen Heimat gewesen war – hatte den Namen Müller getragen. Doch als der Heranwachsende entdeckt hatte, dass dieser auch ihm selbst gegenüber gewalttätige Mann nicht nur das Blutgruppenzeichen der SS-Offiziere eintätowiert trug, sondern im Osten aktiv an der Erschießung von Juden teilgenommen hatte, musste er auf einer abweichenden Schreibweise seines Namens bestehen. Er würde sich fortan, obwohl ebenso im Protestantismus verwurzelt, zur jüdischen Herkunft und Tradition seiner Mutter bekennen, die diese Filiation aus Angst vor antisemitischer Nachstellung verschwiegen hatte, und in der Öffentlichkeit Kippa tragen.
Jetzt liegen seine gesammelten Gedichte in einer kommentierten Ausgabe vor. Und tatsächlich: die deutsche Literatur kann sich freuen, dass hier ein Dichter dem Buchstaben wieder penible Aufmerksamkeit schenkt.
Zu Hause in Heidelberg oder auf Reisen – Mueller hat unaufhaltsam notiert, was ihm als verloren galt und vielleicht doch zum Überleben taugte. Als Kind ein Ausgestoßener, noch später als Fremdling misstrauisch beäugt, dem deutschen Ausdruck aber zutiefst verpflichtet, hat er die Problematik seines Lebens treffend zu formulieren vermocht: „Was lässt einen glauben, willkommen zu sein? In der verätzten Wirklichkeit richtet sich jeder mögliche Verdacht gegen ein Sprechen mit Fug.“
Er sammelt die verschiedensten funkelnden Scherben, wenn er ein Psalmwort – „sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn“ – oder Baudelaires Sonett auf eine unbekannte Schöne zitiert, der der französische Dichter einst auf dem Bürgersteig begegnet war, um in ihr, einem Blitzschlag im Vorübergehen gleich, die Möglichkeit erotischer Erfüllung zu erkennen, und die jetzt nur noch in reduziertester Andeutung erscheint (puis la nuit). Auch Matthias Claudius kommt fragmentarisch zu Wort – „und unsern kranken Nachbarn auch“ -, und es sollen sogar die Worte Hölderlins noch Zukunft haben: „der Fels ist zu Weide gut, / das Trockene zu Trank“.
Zu den Kollegen, denen er sich verbunden weiß, dürfte auch Ernst Jandl zählen, den man bei diesen Zeilen im Hintergrund mitreden hört: „und das ganze sanctus / in den Dialekt geschnoddert“. Und folgende Verse sollte man dringend zum Gegenstand von Schulunterricht machen, wenn man gerade beim Minnesang ist und den jungen Leuten etwas über deutsche Geschichte beibringen will: „das Stürmerlied, das Türmerlied, / das Trümmerlied, ach Walther // tandaradei / was heißt hier Liebe“.