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Prozess um „NSU 2.0“: Gefühl der absoluten Ohnmacht
Frankfurter Rundschau
Im Verfahren um die Drohschreiben vom sogenannten NSU 2.0 sagen erneut Betroffene aus. Die Nebenklage ist davon überzeugt, dass zumindest ein hessischer Polizist mit der Drohserie zu tun hat.
An böse Zuschriften und Drohungen, sagt Anja Reschke, sei sie gewöhnt. Aber als sie im Sommer 2019 E-Mails mit Morddrohungen erhalten habe, in denen ihre private Anschrift und die Namen ihrer Kinder gestanden hätten, habe das aber eine andere Qualität gehabt. „So nah und so bedrohlich war das nie“, schildert die Journalistin. Plötzlich habe sie sich ernsthaft gefragt, ob sie gefährdet sei. „Das macht natürlich Angst.“
Reschke, seit mehr als 20 Jahren Moderatorin des ARD-Politmagazins „Panorama“, ist an diesem Mittwoch als Zeugin im Prozess um die Drohschreiben des sogenannten NSU 2.0 am Frankfurter Landgericht geladen. Mehrfach hat die 49-Jährige E-Mails von dem Absender erhalten, von dem seit Sommer 2018 Politiker:innen, Anwält:innen und andere Personen des öffentlichen Lebens bedroht worden waren. Und es wird deutlich, wie stark diese Drohungen selbst eine erfahrene Journalistin aus der Fassung brachten.
Die erste E-Mail sei „ein totaler Schock“ gewesen, erinnert sich Reschke. Das Drohschreiben, in dem es hieß, ihre Kinder würden als „Vergeltung“ für ihre Arbeit „mit barbarischer sadistischer Härte abgeschlachtet“, sei für sie damals wie aus dem Nichts gekommen. Als dann herauskam, dass private Daten der vom „NSU 2.0“ Bedrohten teils aus Polizeicomputern stammten, habe das ihr Vertrauen in die Polizei stark erschüttert, sagt die Journalistin. „Das war ein absolutes Gefühl der Ohnmacht.“
Reschke berichtet, dass sie bereits ab Herbst 2015 nach einem Kommentar in den „Tagesthemen“ massiv bedroht worden war. Seinerzeit habe auch ein Unbekannter bei der Polizei angerufen und in breitem Berliner Dialekt behauptet, sie ermordet zu haben. Als Reschke berichtet, dass die Polizei ihr diesen Anruf damals vorgespielt habe, wird die Vorsitzende Richterin Corinna Distler hellhörig: Der Angeklagte Alexander M., der hinter den Drohungen des „NSU 2.0“ stecken soll, spricht ebenfalls mit Berliner Zungenschlag.
Die Drohungen um 2015 hätten ihr und ihrer Familie massiv zugesetzt, berichtet Reschke. Sie werde aber weiter für ihre Überzeugungen eintreten: „Ich habe überhaupt keinen Bock, mich zum Opfer zu machen, und ich habe überhaupt keinen Bock, mich einschüchtern zu lassen.“