Prekäre Lage der Hasara unter den Taliban
DW
Die schiitischen Hasara in Afghanistan sitzen zwischen allen Stühlen: Von fanatischen Islamisten terrorisiert, von den Taliban ihres Landes beraubt.
Die schiitische Minderheit in Afghanistan, zumeist Angehörige der Volksgruppe der Hasara, war und ist immer wieder Terroranschlägen ausgesetzt. Erst im vergangenen November wurden mindestens zwei Bewohner des schiitisch geprägten und von Hasara bewohnten Kabuler Vororts Dasht-e Barchi durch zwei Autobomben getötet und mehrere weitere verletzt. Im Mai kamen bei einem grauenvollen Anschlag vor einer Mädchenschule im selben Stadtteil 58 Menschen, darunter viele junge Schülerinnen, ums Leben; der Anschlag wird wie die meisten dieser Art dem afghanischen Ableger des "Islamischen Staats" (IS) zugeschrieben. Und nicht nur in Kabul nimmt er die Hasara ins Visier: Nach dem Anschlag am 15. Oktober in der Bibi Fatima-Moschee in Kandahar, bei dem 45 Menschen starben, drohten die islamistischen Fanatiker des IS, alle Hasara zu verfolgen, wo immer sie sich aufhielten.
In der Geschichte des 1919 gegründeten unabhängigen Staates Afghanistan seien die Hasara, eine vorwiegend turko-mongolische Volksgruppe, marginalisiert und verfolgt worden, sagt der Historiker Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Als Schiiten hätten sie in dem mehrheitlich sunnitischen Land - rund vier Fünftel der Afghanen sind Sunniten - seit jeher eine schwierige Position.
Der Druck auf die Minderheit verschärfte sich nochmals, als die fundamentalistisch-sunnitischen Taliban 1996 die Macht ergriffen. Die Hasara galten als "Ungläubige", wurden verfolgt und schikaniert. Mit dem Auftreten des afghanischen Ablegers des "Islamischen Staats" (der sich nach der historischen zentralasiatischen Region Khorasan "Islamischer Staat in Khorasan", IS-K, nennt) wurde die Bedrohung nochmals stärker, da der IS-K noch weitaus fanatischer als die Taliban gegen Schiiten und Hasara vorgeht.
Taliban und IS sind zwar verfeindet, aber das hat sich bislang nicht günstig für die Hasara ausgewirkt. Im Gegenteil: Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge haben die Taliban im Oktober in mehreren afghanischen Provinzen Hasara-Angehörige gewaltsam aus ihren Gebieten vertrieben, um das Land an ihre eigenen Unterstützer zu verteilen.
"Die Taliban vertreiben Hasaras und andere Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer politischen Meinung, um Taliban-Anhänger zu belohnen", heißt es in einem Bericht von HRW. "Diese Vertreibungen, durchgeführt unter Androhung von Gewalt und ohne jegliches Gerichtsverfahren, sind schwerwiegende Verstöße, die einer kollektiven Bestrafung gleichkommen."