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Polen – das heißt nirgendwo
Frankfurter Rundschau
Wäre der Roman „Der Fänger im Roggen“ ein Kultbuch geworden, wenn er in Polen spielte? Über die tiefsitzenden Komplexe einer Nation.
Ein bekannter Lektor eines großen und traditionsreichen Verlags aus Deutschland schrieb mir neulich, er habe mein Romanmanuskript „Ein roter Ziegelstein für Izabela“ mit Vergnügen gelesen, der Deutsche interessiere sich aber nicht für Polen und seine Kindheits- und Jugendgeschichten, das Buch werde kein breites Lesepublikum finden. In seiner Ehrlichkeit ein wunderbar durchsichtiges Urteil – und ich musste staunen, habe ich doch schon viele Romane in den letzten 25 Jahren veröffentlicht, deren Handlung in Polen verankert ist, und solche wie „Wodka und Messer“ oder „Drang nach Osten“ sind ja außerdem nicht unbekannt. Schwamm drüber!
Denn vor allen Dingen musste ich, nachdem ich die Antwort des Lektors gelesen hatte, an Alfred Jarrys den Dadaismus und das Theater des Absurden und Grotesken vorwegnehmendes Stück „König Ubu“ denken, das 1896 in Paris uraufgeführt wurde und sofort für zahlreiche Skandale gesorgte, zumal es mit dem Wort „Scheißre“ beginnt („Merdre“ – das idiosynkratische R spiegelt bereits die subversive, dem gemeinen Bourgeois an den Kragen gehende Provokationslust des Autors wider). Jarry soll einmal über sein groteskes Drama gesagt haben, es spiele in Polen, also nirgendwo ...
Eine konzeptuelle Metapher International berühmt geworden ist „König Ubu“ erst nach seiner Publikation 1922, lange nach dem Tod des Exzentrikers und Poète maudit im Jahre 1907, dem die Pariser Literaturkritik konsequent aus dem Weg gegangen war. Es wurde aber in viele Sprachen übersetzt.