Perspektivwechsel: Kunst aus Afrika auf der documenta
DW
Die "documenta fifteen" stellt die westliche Deutungshoheit über die Kunst in Frage. Der afrikanische Kontinent spielt dabei eine wichtige Rolle. Und hatte noch nie einen so prominenten Auftritt in Kassel wie 2022.
Die bunte Hütte ist ein echter Blickfang auf der grünen Wiese der Karlsaue, die gleich hinter Kassels Schloss beginnt und Teil einer idyllischen Parklandschaft ist. "The Nest Collective" - ein Kollektiv aus Nairobi mit fünf ständigen und zahlreichen temporären Aktivisten aus den Bereichen Wissenschaft, Film und Kunst hat sie selbstbewusst "Return to Sender" getauft: Zurück an den Absender. Die 44 Stoffballen haben eine weite Reise hinter sich: von Europa nach Afrika und wieder zurück. In Afrika will sie eigentlich keiner haben. Die ausrangierten Vorhänge, T-Shirts oder Bettlaken, die von Weitem so freundlich und bunt aussehen, landen in vielen afrikanischen Ländern direkt auf dem Müll. Njoki Ngumi, Mitglied des Nest Collective, engagiert sich dafür, dass Schluss ist mit dem Entsorgen von Wohlstandsschrott in afrikanischen Ländern. So seien bis zu 40 Prozent der Stoffballen völlig unbrauchbar, sagt sie im DW-Interview.
Ihr Einkauf sei eine Art "Glücksspiel" für die Händler. "Die Deponien wachsen und wachsen. Es gibt eine Müllhalde, die schon im Jahr 2000 für voll erklärt wurde. Die Leute benutzen sie immer noch, weil sie nicht wissen, wohin damit." The Nest Collective nutzt nun ihre Installation, zu der auch ein Film gehört, um auf der documenta fifteen ein größeres politisches Engagement, aber auch einen zivilen Ungehorsam gegen diese Exporte von europäischem, nicht biologisch abbaubarem Textil- und Elektroabfall zu fordern. "Die Einzigen, die mit Erfolg protestieren können, diese einseitigen Geschäfte einzustellen, sind die europäischen Bürger."
Der globale Norden hat gerne seine eigene Perspektive auf die Weltgeschichte. Dass diese Sicht einseitig ist, zeigt sich an vielen Stellen der documenta fifteen, die von dem indonesischen Kollektiv ruangrupa geleitet wird. Ressourcen schonen und teilen ist das Prinzip des Reisspeichers Lumbung, der Überflüssiges gerecht weitergibt. "Lumbung" steht als großes Leitmotiv über der documenta fifteen, die 100 Tage dauert, aber noch lange darüber hinaus nachwirken soll. Gemeinschaftliches Miteinander ist auch die Basis des Filmstudios Wakaliga Uganda, benannt nach dem gleichnamigen Stadtviertel in Kampala.
Isaac Godfrey dreht dort Action-Comedy-Filme auf No-Budget-Ebene. Jeder darf mitmachen. "Eigentlich sind wir eine Familie von Talenten. Ich bin sehr gut darin, Begabungen zu erkennen. Manchmal sind sie versteckt. Aber es ist wichtig, sie zu finden", sagt Isaac Godfrey im DW-Interview. So wird aus dem Automechaniker ein Requisiteur oder aus dem Friseur ein Schauspieler. Wie gut diese Kooperation ohne Bildungs- und Klassenunterschiede gelingt, zeigt sich in der documenta-Halle. Vorbei an handgemalten Papp-Filmplakaten von Produktionen seit 2005 - solange gibt es Wakaliga Uganda - geht es in einen Kinoraum, in dem Ramon Film Productions, wie Isaac Nabwanas Studio auch heißt, ihren neuesten Streifen "Football Kommando" zeigen. In einer schnell geschnittenen Mischung aus Action-Film und Karate-Comedy folgt man Verfolgungsjagden in Hinterhöfen, in denen eine Organmafia ihr Unwesen treibt.
Neben Menschenhandel handelt "Football Kommando" auch von einem deutschen Fußballspieler, der sich auf die Suche nach seinem verschwundenen Sohn macht. Isaac Godfrey, der Lehrer im Hauptberuf ist, sieht eine große Verantwortung darin, sich um den Nachwuchs in Kampala zu kümmern. "Ich versuche, die Kinder und Jugendlichen zu zukünftigen Filmemachern auszubilden." Auch während der documenta lädt Godfrey alle Interessierten zu Filmworkshops ein, die jeweils eine Woche dauern.