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Parteitag der Grünen bringt neuen Vorstand: Mehr Grün wagen
Frankfurter Rundschau
Die „Öko-Partei“ bekommt eine neue Spitze, nach Flügeln quotiert. Ein bisschen Streit täte ganz gut.
Frankfurt am Main - Als die Grünen noch in der Opposition und die Chancen aufs Regieren unklar waren, hatte der damals neue Parteichef einen Lieblingsspruch auf Lager: „Radikal ist das neue Realistisch“, verkündete Robert Habeck bei jeder Gelegenheit, und viele taten es ihm nach. Die Lage, so war das gemeint, erlaube kein Zögern und Zaudern, vor allem beim Klimaschutz. Radikale Veränderungen seien Pflicht, um realistische Chancen auf eine lebenswerte Zukunft zu haben.
Am kommenden Wochenende findet die Ära von Habeck und Annalena Baerbock an der Parteispitze ihr Ende. Die beiden haben bekanntlich wichtige Ministerien übernommen, das verträgt sich nach grüner Überzeugung nicht mit offiziellen Führungsrollen in der Partei. Und nun zeichnet sich etwas ab, für dessen Überwindung die Grünen-Stars sich jahrelang selbst gelobt haben: Die Flügel sind wieder da, und das – bitte nicht erschrecken – ist auch gut so.
Das neue Führungsduo, das der Parteitag sehr wahrscheinlich am Samstag wählen wird, besteht aus Ricarda Lang und Omid Nouripour. Die eine, gerade erst 28 Jahre alt geworden, hat sich schon jetzt ein deutliches Profil als feministische Linke erworben. Der andere, Frankfurter mit iranischen Wurzeln und einst als Nachfolger von Joschka Fischer in den Bundestag eingezogen, ist ein politisches Gewächs des Hyperrealo-Landesverbandes Hessen.
Wer selbst sachliche Auseinandersetzungen über den Kurs einer Partei schon für schädlichen „Streit“ hält, wird fragen: Was soll das? Wurde die „Ökopartei“ nicht etwa allenthalben gelobt, weil Baerbock und Habeck die ewigen Konflikte zwischen Realos/Realas und Fundis angeblich überwunden hatten? War das nicht der beste Weg, um die Partei endlich zur „Mitte“ zu öffnen und die führende politische Kraft in Sachen Klimaschutz an die Schaltstellen der Macht zu bringen? Und ist das nicht wenigstens teilweise gelungen, jetzt, da die Ampel leuchtet?
Es ist nicht alles falsch, was in solchen Fragen steckt. Wer den Koalitionsvertrag der Ampel nur an der schwarz-roten Vorgängerregierung misst, kann Fortschritte nicht übersehen, beim Klimaschutz, bei der Kindergrundsicherung, beim Mindestlohn und auf anderen Feldern. Wer aber die „radikalen“ Notwendigkeiten zum Maßstab nimmt, auf die Habecks Slogan damals angespielt hat, wird an einer Erkenntnis nicht vorbeikommen: Der Preis, den die Grünen für ihre jüngsten Erfolge bezahlen, könnte hoch sein, womöglich zu hoch.