Paradigmenwechsel in der deutschen Politik
Frankfurter Rundschau
Die Ampelregierung muss ihre politische Wende noch ausbauen und präzisieren.
Putins Krieg folgt ein bemerkenswerter und teils sogar überraschender Paradigmenwechsel der deutschen Politik. Die Ampelkoalition will nun doch Waffen an die Ukraine liefern, der Bundeswehr zusätzliche Milliarden zukommen lassen und das hierzulande bislang umstrittene Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllen. Die FDP findet die Schuldenbremse nicht mehr ganz so wichtig und FDP-Chef Lindner nennt Erneuerbare Energien neuerdings Freiheitsenergien. Und die Linke räumt ein, den russischen Autokraten Wladimir Putin falsch eingeschätzt zu haben.
Dies dürfte erst der Anfang sein. Schließlich wollen deutsche und andere europäische Politikerinnen und Politiker der bedrängten Ukraine nicht nur beistehen. Sie wollen Putin mit Sanktionen in die Schranken weisen und damit gegen seinen Angriffskrieg auf die Ukraine vorgehen, ebenso gegen die damit verbundene Attacke auf die europäische Sicherheitsordnung und auf den regelbasierten Multilateralismus . Vieles steht dabei erst am Anfang, manches muss noch präzisiert, einige Ideen noch ausgearbeitet werden.
So darf man gespannt sein, was genau die Ampelregierung mit all dem Geld etwa für die Bundeswehr und damit für deren Fähigkeiten für die Verteidigung erreichen will. Wäre es nicht sinnvoll und nötig, bei ihren Vorhaben mit anderen EU-Staaten zusammenzuarbeiten?
Doch die bisherigen Versuche der EU-Staaten waren wenig überzeugend, militärisch zu kooperieren und Fähigkeiten aufeinander abzustimmen oder gemeinsam statt in Konkurrenz zueinander Waffen zu entwickeln. Doch Synergien wären hilfreich und nötig _ nicht nur, weil die europäischen Nato-Staaten um ein Vielfaches mehr für ihre Waffen und Armeen ausgeben als Russland. Deutschland und die anderen EU-Staaten benötigen ihre finanziellen Ressourcen zusätzlich zur Verteidigung auch für einen sozial verträglichen Klimaschutz und eine ebensolche Digitalisierung.
Wirtschaftspolitisch wird spannend, wie die Ampelregierung die ohnehin angestrebte Energiewende in Einklang bringen will mit dem Ziel, sich von russischem Gas mittelfristig unabhängig zu machen. Denn warum sonst sollte sie möglichst schnell zwei Terminals für Flüssigerdgas in Wilhelmshaven und Brunsbüttel bauen wollen? All die Kosten allein in diesem Bereich werden die Energiepreise noch weiter in die Höhe treiben und Menschen mit wenig Geld noch mehr belasten. Den Betroffenen muss die Bundesregierung dann großzügig helfen.