
Ovtcharovs bronzener Kraftakt
Frankfurter Rundschau
Einen Tag nach seiner bitteren Halbfinalniederlage gegen Ma Long beweist der Deutsche große Moral und holt Tischtennis-Bronze. Gegen Lin Yun Ju muss er vier Matchbälle abwehren. Und ist danach völlig am Ende.
Irgendwann, in ein paar Tagen vielleicht, wird Dimitrij Ovtcharov sehr müde werden. Wenn das olympische Tischtennisturnier vorüber ist, wird er die Erschöpfung spüren, die er jetzt noch mit mentaler Kraft überlistet. „Wenn ich heute verloren hätte, hätte ich gar nicht mehr gewusst, wie ich schlafen oder essen soll“, gab der 32-Jährige einen Einblick in seinen Seelenzustand. Mit einer bemerkenswerten Leistung hatte er nicht einmal 24 Stunden nach der bittersten Niederlage seine Karriere die Energie gefunden, um sich noch einmal gegen alle Widerstände durchzusetzen. Ovtcharov gewann am Freitag im „Metropolitan Gymnasium“, der Tischtennishalle in Tokio, nach einem neuerlichen Tischtenniskrimi mit einem 4:3 (13:11, 9:11, 6:11, 11:4, 4:11, 15:13, 11:7) gegen den Taipeh-Chinesen Lin Yun Ju die Bronzemedaille. Lin ist gerade einmal 19 Jahre alt, und ihm wird zugetraut, die Dominanz der Chinesen zu brechen. „Er wird jeden Monat besser“, sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf über Lin und attestierte ihm den „besten Rückspieltopspin der Welt“. Ovtcharovs Gegner hat unzählige Waffen in seinem Spiel, und weil er sich so rasant entwickelt, ist er schwerer zu analysieren als die weltweit führenden Chinesen. Die Aufgabe war unglaublich schwer und schien fast nicht lösbar, weil Ovtcharov am Vortag dramatisch im Halbfinale gegen Ma Long, den vielleicht besten Spieler der Geschichte, verloren hatte. Roßkopf nutzte eine List, um seinen Schützling vor dem Bronzematch aufzubauen. „Seine Tochter wünscht sich, dass er irgendwas mitbringt, und am besten eine Medaille. Das habe ich ihm gestern noch im Bus gesagt“, erklärte der Coach, der 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta ebenfalls eine Bronzemedaille im Einzel gewann. Roßkopf konnte sich mehr als viele andere in Ovtcharovs Gemütsverfassung hineinversetzen und wählte offenbar die richtigen Worte, um seinem Schützling eine weitere mentale Großtat zu ermöglichen.More Related News