Ortskräfte aus Afghanistan: Hält die Ampel ihre Versprechen?
Frankfurter Rundschau
Tausende harren in Afghanistan trotz deutscher Zusagen für eine Einreise aus. Die Ampel kündigte schnelle Hilfe an – doch in der Praxis greift weiter eine umstrittene Klausel der Vorgängerregierung.
Löst die Ampel-Koalition ihr Versprechen ein, gefährdete afghanische Ortskräfte und ihre Familien unbürokratischer und schneller als die Regierung Merkel in Sicherheit zu bringen? Eher nein, beklagen Hilfsorganisationen, die betroffene Afghan:innen unterstützen. Die Hauptvorwürfe: Weiter herrsche organisatorisches Chaos; die betroffenen Menschen, die oft versteckt und ohne finanzielle Mittel lebten, müssten monatelang auf Entscheidungen warten. Und vor allem: Viele sind von versteckten Ausschlussgründen betroffen, die eine Aufnahmezusage unmöglich machen.
Besonders brisant ist die Regelung, die festlegt, welche lokalen Ortskräfte eine Chance auf Aufnahme in Deutschland haben: Öffentlich wird seit Monaten kommuniziert, dass dies für alle gelte, die in der Zeit von 2013 an für die Bundeswehr, das Auswärtige Amt, das Entwicklungshilfeministerium oder dessen Auftragsorganisation GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) gearbeitet haben. Tatsächlich aber gilt zumindest für frühere Bundeswehrmitarbeitende: Wer zwischen 2013 und Sommer 2019 Ortskraft war, hat in der Regel nur Chancen, wenn er oder sie damals bereits vergeblich eine Gefährdungsanzeige gestellt hat. Eine aktuell neue Bedrohungslage allein reicht für diese Gruppe normalerweise nicht – sondern nur für die, die nach 2019 im Dienst der deutschen Armee standen. Das gelte seit langem und „weiterhin unverändert“, bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in der Regierungs-Pressekonferenz zwei Tage vor Heiligabend. In Einzelfällen könnten „flexible Lösungen“ gefunden werden. Im Klartext: Auch die Ampel-Koalition behält die umstrittene Ausschlussklausel der Vorgängerregierung bei.
„Willkürlich“ nennt Marcus Grotian vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte das: „Durch die Klausel werden sehr viele vom Schutz ausgeschlossen, die ihn dringend brauchen, weil sie nach der Machtübernahme der Taliban nun akut bedroht sind.“
Ein Beispiel ist Amir L. (Name geändert), den die Hilfsorganisation Mission Lifeline betreut: Er arbeitete einem Zeugnis vom Spätsommer 2014 zufolge seit 2007 als Dolmetscher für die Bundeswehr, und zwar im Camp Marmal in Masar-e-Sharif. Auch bei Militäroperationen wurde er für Übersetzungen eingesetzt. Das Zeugnis, das der FR vorliegt, bescheinigt ihm erstklassige Arbeit: Außerordentlich kompetent, immer zuverlässig und vertrauenswürdig sowie sehr belastbar sei er gewesen, heißt es da. Im August 2021 hat er sich erstmals an die Bundeswehr gewandt und um Schutz gebeten, doch er stößt seither auf Ablehnung: Mittels einer Serienmail hat man ihn auf die Ausschlussklausel hingewiesen. Seine Hinweise auf Drohungen im abgelaufenen Jahr würden bis heute nicht berücksichtigt, beklagt er.
Ob alle in Afghanistan engagierten Ministerien die strenge Regel anwenden, ist nicht leicht in Erfahrung zu bringen. Das von der Grünen Annalena Baerbock geführte Auswärtige Amt sagt nichts dazu und verweist an das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD). Das antwortet ausweichend: Eine Gefährdung könne jederzeit angezeigt werden, „unabhängig von bereits in der Vergangenheit gestellten Gefährdungsanzeigen“. Ganz ähnlich lautet die Auskunft des BMZ auf FR-Anfrage. Aber haben alle Anträge früherer Beschäftigter die gleichen Chancen? Dazu gibt es keine Regierungsauskunft. Das Patenschaftsnetzwerk hat jedenfalls eindeutige Erfahrungen: Grundsätzlich, so Marcus Grotian, „wird die Klausel ressortübergreifend angewandt“.