Nobelpreis für Abdulrazak Gurnah: Warum Geschichten erzählt werden
Frankfurter Rundschau
Der tansanische, in England lebende Schriftsteller Abdulrazak Gurnah erhält den Literaturnobelpreis – er muss hier noch entdeckt werden.
Abdulrazak Gurnah erhält den Literaturnobelpreis 2021. Kompromisslos und mitfühlend, heißt es, drängen seine Texte ein in die Auswirkungen des Kolonialismus und in das Schicksal der Flüchtlinge, die sich im Abgrund zwischen Kulturen und Kontinenten bewegten.
Der in Deutschland wenig bekannte Erzähler Abdulrazak Gurnah wurde 1948 in Sansibar geboren. In den 60er Jahren floh er nach Großbritannien, wo er an der Universität in Kent unterrichtete. Dort brachte er auch 2007 den „Cambridge Companion to Salman Rushdie“ heraus. Darin beschrieb er Rushdies Sehnsucht zurück in das heimatliche Bombay jener Jahre, in denen es so aussah, als sei – nach und trotz der Teilung des Landes in zwei einander bekämpfende Staaten – ein tolerantes, pluralistisches Indien möglich.
Abdulrazak Gurnah hat ein Ohr für die allem Witz, aller Lust an der Travestie zugrundeliegende Melancholie seines indischen Schriftstellerkollegen. Sein neuester Roman „Afterlives“ ist auf der Shortlist des Orwell- und auf der Longlist des Walter-Scott-Preises. Der Autor steht seit Jahren immer wieder auf den Shortlists der britischen Literaturpreise, ohne aber jemals einen der großen Preise bekommen zu haben. Das Stockholmer Nobelpreiskomitee hat diesen Jurys jetzt ein Schnippchen geschlagen.