
Nicht lustig: Dave Chapelles Netflix-Special offenbart viel über unsere Zeit
Frankfurter Rundschau
Es ist unangebracht, wenn eine Gruppe ihre Erfahrung von Diskriminierung dadurch zu überwinden sucht, indem sie weiter nach unten tritt.
Vom US-Comedian Dave Chapelle hatte ich erst vor etwa einem Monat erfahren – durch einen Boykottaufruf, den ich nicht unterzeichnet habe. Die Wellen vor allem in LGBTI-Kreisen schlugen hoch, nachdem der Streaming-Anbieter Netflix ein Special veröffentlichte, in dem sich Chapelle vor allem über Transpersonen lustig macht, Lesben und Frauen generell. Die aufgezeichnete Live-Show ist erkennbar als rotzige Provokation gegen einen angeblich unerträglichen Woke-Zeitgeist gedacht.
Hemmungslos plaudert Chapelle daher, was seine Fans wohl auch schon immer mal laut aussprechen wollten. Eine als „strange“ empfundene Toiletten-Begegnung mit einer Transperson, sein obsessiver Drang, Transfrauen beharrlich als Männer zu missgendern und sich über kuriose Pronomen nicht-binärer Personen zu wundern: Jeden dieser krachledernen Gags quittiert ein heterogenes Publikum mit feixendem Applaus.
Erst beim zweiten Versuch überwand ich mich, die Sendung bis zum Ende zu sehen. Gleich zu Beginn setzt Chapelle mit einer Anekdote zu einem wohl selbst als Kind erlittenen sexuellen Missbrauch den Ton, der das gesamte Programm durchzieht: Selbst erfahrenes Leid verarbeitet er als Opfer einer gnadenlos-rassistischen Gesellschaft, die ihm sogar als erfolgreichem Star die ersehnte Anerkennung verwehrt.