Neuer Ostseekanal soll Polens Schifffahrt unabhängig von Russland machen
DW
Damit Schiffe in Richtung Ostsee nicht mehr durch russische Hoheitsgewässer müssen, hat Polen einen Kanal gebaut. Einige sehen in der millionenschweren Investition einen Befreiungsschlag - andere nur ein Prestigeprojekt.
Es war eine große Feier für einen kurzen Weg: Mitte September weihten Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und Staatspräsident Andrzej Duda an der polnischen Küste einen Kanal ein, der den Hafen von Elbląg mit der Ostsee verbindet. Es ist ein 1,3 Kilometer langer Durchstich durch die Frische Nehrung, eine Landzunge, die teils in Polen und teils in der russischen Enklave Kaliningrad liegt. Der Kanal soll Schiffen künftig den 60 Kilometer langen Umweg über die russischen Hoheitsgewässer in der Nähe des Kaliningrader Hafens Baltijsk ersparen. Zwischen Polen und Russland gibt es zwar Abkommen, die die Passage durch diese Wasserstraße regeln, doch häufig hängt der reibungslose Verkehr auf dieser Route von der politischen Wetterlage ab. Diese Abhängigkeit soll nun wegfallen, so die Hoffnung der polnischen Regierung.
Angesichts von Russlands Angriff auf die Ukraine und der sich zuletzt deutlich verschlechternden Beziehung zwischen Polen und Russland scheint der Kanal gerade zur rechten Zeit zu kommen. Doch das Projekt ist schon deutlich länger in Planung - und umstritten. Der heutige Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und frühere Premierminister Jaroslaw Kaczynski hatte das jahrzehntelang diskutierte Vorhaben 2006 angeschoben, nachdem Russland internationalen Schiffen aufgrund eines angeblich abgelaufenen Vertrags die Passage über die Meerenge bei Baltijsk verweigert hatte. Ein 2009 geschlossener Vertrag entschärfte die Situation zwar wieder und für Donald Tusk, Kaczynskis Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, hatte das Projekt keine Priorität. Doch mit der Machtübernahme der nationalkonservativen Partei PiS 2016 bekam auch das Kanal-Projekt einen neuen Schub. 2019 schließlich begannen die Arbeiten am Kanal.
Der erste Bauabschnitt des Kanals wurde ausgerechnet am 17. September 2022 eröffnet, dem Jahrestag des sowjetischen Überfalls auf Polen - ein symbolträchtiges Datum. Kurz nach dem deutschen Angriff am 1. September 1939 hatte die Rote Armee damals gemäß eines geheimen Zusatzprotokolls des Hitler-Stalin-Pakts die östlichen Gebiete Polens besetzt. Und nun, genau 83 Jahre später, twitterte Premierminister Morawiecki am Tag der Eröffnung stolz: "Der Schifffahrtskanal durch die Frische Nehrung, der heute eröffnet wird, ist ein Weg der Freiheit, der neuen Chancen und Möglichkeiten. Am 83. Jahrestag des Überfalls der Sowjetunion auf Polen zerreißen wir symbolisch die letzten Fesseln unserer Abhängigkeit von Russland."
"Die Idee war, diese Wasserstraße symbolisch zu eröffnen, damit wir nicht ein Land um Genehmigung bitten müssen, das uns nicht freundlich gesinnt ist - ein Land, das nicht zögert, andere anzugreifen und zu versklaven", sagte Staatspräsident Duda. Und PiS-Chef Kaczynski, der bei den Feierlichkeiten auch zugegen war, versprach viele neue Arbeitsplätze in Zusammenhang mit dem Kanalbau, der zu einem der Leuchtturmprojekte der PiS geworden ist.
Auch die Eröffnungsfeier an sich war rein symbolischer Natur. Für den Wasserverkehr hat sich nichts geändert: Transportschiffe müssen weiterhin russische Gewässer passieren, denn die Fahrrinne des neuen Kanals ist gerade einmal zweieinhalb Meter tief, das reicht nicht für größere Frachtschiffe.