Neil Young versus Joe Rogan und Spotify: Trotz und Trauma
Frankfurter Rundschau
Gegen die Marktkompatibilität von Meinungsmacht: Wie Neil Young und Joni Mitchell Spotify die Stirn bieten.
Gelungene Pop-Poesie bewegt sich häufig auf der unscharf gezogenen Grenze zwischen Trivialität und Wahrheit. Und wenn deren Schöpfer reifen, kommt oft eine Portion Wahrhaftigkeit hinzu. Wir können in der Zeit nicht zurückkehren, hat die kanadische Singersongwriterin und Malerin Joni Mitchell in ihrem Lied „Circle Game“ kundgetan, wir können bloß zurückschauen. Ihr Landsmann Neil Young hat sich schon als junger Songschreiber Gedanken über das Alter gemacht. In dem Lied „Old Man“ ruft er seinem fiktiven Gegenüber zu: Schau mich an, alter Mann, ich bin dir sehr ähnlich.
Dass heute viele Neil Youngs gepflegtem Altersstarrsinn anerkennend beipflichten, hat wohl auch mit dessen rebellischen Eigensinn zu tun. Sich nichts sagen lassen, dabei aber sehr viel zum Ausdruck bringen, hat sein künstlerisches Erscheinungsbild geprägt. Obwohl er immer wieder den Geschmack der Zeit traf, rumpelt es in seinem Werk gewaltig. Im Gesamteindruck überwiegt das Widerspenstige, das vielen als Offenbarung gilt.
Also sieht man nun schmunzelnd dabei zu, wie er dem Streamingdienst Spotify die Stirn bietet, weil dieser einen Podcast verbreiten hilft, in dem wüste Theorien über das Impfen aufgestellt werden. In dem Streit treten, wenn man so will, alte Popstars gegen einen neuen an. Übrigens keineswegs bloß aus einer Laune heraus. Joni Mitchell und Neil Young waren als Kinder beide an Kinderlähmung erkrankt, eine süße Schluckimpfung hätte ihnen dieses Schicksal ersparen können.
Joe Rogan, gegen dessen Podcast sich Mitchell und Young ins Zeug legen, war gerade geboren, als die beiden Songschreiber in den späten 60ern ihre größten Erfolge feierten. Irgendwas mit Medien war früh sein Ding. Er trat als Stand-up-Comedian auf, moderierte und arbeitete an Filmproduktionen mit. In mancherlei Hinsicht ist Rogan ein Kind der 68er Bewegung, er setzt sich für die Legalisierung von Drogen ein und ließ in seinem Podcast „The Joe Rogan Experience“ den linken Demokraten Bernie Sanders mit Edward Snowden diskutieren.
Man könnte den 2009 zum ersten Mal veröffentlichten Podcast allerdings auch als mediale Bühne eines narzisstischen Selbstdarstellers betrachten, der seine exzessive Lebensführung zum Thema macht. Er ist gerade kein Moderierender, sondern einer, der gern Extreme inszeniert – ganz normale Medienwelt also. Dazu gehört es, gegen all das zu mobilisieren, was man unter dem Stichwort politische Korrektheit zusammenfasst. Ganz unbekannt ist das hierzulande nicht, zuletzt haben sich Lisa Fitz, Dieter Nuhr und Lisa Eckart in einer Disziplin hervorgetan, die man als performative Renitenz bezeichnen könnte. Sie haben sich lange genug im Licht der Prominenz gesonnt, um in ihrer verbreiteten Haltungen frei von Selbstzweifeln zu sein.