Nehmt das, Polit-Kommissare!
Süddeutsche Zeitung
Das Berliner Maxim Gorki Theater zeigt ein, nein, das Musical zur Cancel Culture.
Die aufgeregten Cancel-Culture-Debatten darüber, wer worüber sprechen darf und wer und weshalb nicht, mit einem Musical zu verspotten, ist nicht schlechteste Idee. Die Regisseurin Yael Ronen, geboren in Jerusalem, weltberühmt in Berlin, macht sich damit in ihrer musikalisch absolut hinreißenden Inszenierung "Slippery Slope" am Berliner Maxim Gorki Theater einen ziemlich cleveren Spaß. Der formvollendete Absturz auf dem "slippery slope", dem glitschigen Hang der Identitätspolitik, ist das entspannteste Ideologie-Zertrümmerungs-Musical seit Mel Brooks "Springtime for Hitler". Und natürlich ist das Gorki Theater dafür der ideale Tatort. Kein anderes Theater des Landes hat Identitätsdebatten, den immer noch virulenten Rassismus, die subtilen und die brutalen Diskriminierungsspiele gegenüber Minderheiten so ausgiebig, intelligent und gerne auch penetrant durchgespielt wie Shermin Langhoffs postmigrantisches Volkstheater. Die politische Gesinnung ist mehr als klar, der stete Hass der Berliner AfD ist dem Theater sicher. Aber die ideologischen Rechthaber-Verhärtungen, die die Debatten zu Sexismus und Identitätspolitik oft so unergiebig und unerträglich machen, kontern die besseren Gorki-Inszenierungen souverän mit Selbstironie, Paradoxien und satirischen Übertreibungen. Auch beim zweiten Thema des Abends, dem Vorwurf des Machtmissbrauchs im Kulturbetrieb, verfügt man am Gorki Theater über einige Expertise, seit die Intendantin in der vergangenen Spielzeit das Ziel einer Denunziationskampagne wurde. Man konnte also gespannt sein, wie Yael Ronen in ihrer Inszenierung den diversen Fettnäpfchen und Sprengfallen auf dem verminten Gelände ausweichen würde. Ronens Strategie läuft exakt auf das Gegenteil hinaus: Die Regisseurin steuert jedes Fettnäpfchen der politischen Inkorrektheit zielsicher an und springt begeistert hinein: Nehmt das, Polit-Kommissare!