Nawalny-Urteil: "Übergang zum totalitären Staat"
DW
Im Schatten des Ukraine-Krieges wurde der inhaftierte russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny Prozess in einem weiteren Prozess zu neun Jahren Haft verurteilt. Seine Anhänger rief er zum Widerstand auf.
"Neun Jahre Straflager. Mein Raumflug verzögert sich ein bisschen." Alexej Nawalny reagierte auf das Urteil mit seiner typischen Ironie. Nachdem die Richterin am frühen Dienstagnachmittag das Strafmaß verkündet hatte, wurde in Social-Media-Profilen des russischen Oppositionellen seine Botschaft verbreitet. Nawalny verglich sich darin mit einem Protagonisten aus dem Science-Fiction-Blockbuster "Interstellar" und sprach von einer "Zeitschleife".
Der 45-Jährige spielte wohl darauf an, dass er in scheinbar unzähligen Strafverfahren immer wieder verurteilt wird. Auch diesmal wurde der Kreml-Kritiker in beiden Anklagepunkten schuldig gesprochen. Nawalny soll in einem früheren Verfahren eine Richterin mit Aussagen wie "Oh mein Gott" oder "Der Fall ist fabriziert" beleidigt haben. Außerdem soll er Spenden für seine Stiftung gegen Korruption (FBK) veruntreut haben. Nawalny bestreitet die Vorwürfe.
Der bereits seit mehr als einem Jahr wegen eines anderen Urteils inhaftierte Oppositionspolitiker wurde zu einer Geldstrafe und neun Jahren Haft in einer Strafkolonie mit sogenanntem "strengen Regime" verurteilt. Das bedeutet, dass unter anderem seine Kontakte zur Außenwelt stark eingeschränkt werden. Es ist das bisher härteste Urteil, das je gegen Nawalny ausgesprochen wurden. Es fiel jedoch milder aus als die von der Anklage geforderten 13 Jahre Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Nawalnys Anwälte kündigten Berufung an.
Der Prozess fand im Schatten des russische Krieges gegen die Ukraine statt. "Während die ganze Welt auf die Ukraine schaut wird innerhalb Russlands ein weiteres monströses Verbrechen begangen", twitterte am Vortag Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch. Das Verfahren wirkte bizarr: Gerichtsverhandlungen wurden nicht in Moskau sondern in Nawalnys bisherigem Gefängnis, der Strafkolonie Nummer zwei im Provinzstädtchen Pokrow, durchgeführt. Journalisten durften den Prozess nicht im selben Raum sondern nur aus einem Nebengebäude beobachten. Die russischen Staatsmedien widmeten alledem kaum ein Wort.
Überraschend kam das Urteil nicht. Seit dem Giftanschlag auf ihn im August 2020 ist der Druck auf Nawalny stets gewachsen. Nach seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er wegen der Nowitschok-Vergiftung behandelt worden war, wurde er umgehend festgenommen und alsbald verurteilt. Danach wurden seine politischen und medialen Strukturen wie die FBK-Stiftung zu extremistischen Organisationen erklärt und zerschlagen. Viele seiner Mitstreiter leben inzwischen im Exil, Proteste für seine Freilassung sind nicht zu erwarten. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurde das Versammlungsrecht in Russland weiter eingeschränkt.