Nagelsmanns riskantes Experiment glückt
Süddeutsche Zeitung
Das 3:2 des FC Bayern gegen Leipzig gerät zum offenen Schlagabtausch auf hohem Niveau. Auch die Reflexe von Manuel Neuer bewahren die Münchner vor einem Punktverlust.
Dass dieses Duell der Vorjahres-Bundesligabesten FC Bayern und RB Leipzig das Zeug für eine angemessene Unterhaltung am Samstagabend haben würde, das war schon vor dem Anpfiff zu erahnen gewesen. Da nämlich streifte es bereits die große Erzählung von J.R.R Tolkiens "Herr der Ringe". Das allerdings hatte weniger mit martialischen Tönen der verantwortlichen Trainer Julian Nagelsmann und Domenico Tedesco zu tun. Vielmehr mit der Frage, ob die Nähe ihrer beiden Taktikschulen etwas damit zu tun haben könnte, das sie 2015/16 gemeinsam die Schulbank für angehende Trainer gedrückt haben. Einen sehr ausführlichen Vortrag war Nagelsmann auf der Pressekonferenz vor dem Spiel die Frage wert, weswegen Tedesco seinen Fußballlehrer mit der Note 1,0 bestand, er selbst lediglich mit einer 1,3.
Um die lange Geschichte zu verknappen: Am ersten Schultag lief Nagelsmann ganz bewusst erst kurz vor dem Gong in den Klassenraum. Weil er zu den Coolen gehören wollte, nicht zu den Strebern. Was er nicht ahnte: Die Coolen waren schon sehr früh in den Raum gestürmt. Um sich die coolsten Plätze zu organisieren - jene ganz hinten. Dem lässig spät gekommenen Nagelsmann blieb also nur der Platz, der noch frei war: ganz vorne bei den Strebern. Das Zustandekommen dieser hundsgemeinen Sitzordnung muss Nagelsmann vorgekommen sein wie ein Paradoxon der Coolness. Und sie hatte gravierende Auswirkungen auf seine Freizeitgestaltung während des Unterrichts. Denn während sich die Lümmel aus der letzten Bank während des Unterrichts "die Trilogie von Herr der Ringe 44-mal angeguckt haben, konnte ich nicht einmal irgendwas bei Google eintippen, weil mein Laptop sofort zugeklappt wurde", so hat es Nagelsmann erzählt.
Am Samstag, zwischen den Minuten 58 und 69, könnte sich der beim Lehrgang cooler platzierte Tedesco an einen speziellen Moment des Ringkriegs erinnert haben. Da nämlich fielen die Münchner Spieler über die Leipziger her wie die sprechenden Bäume über den Turm des Zauberers Saruman im zweiten Teil der Trilogie. Nur hießen die Eindringlinge nicht "Baumbart" und "Buchenbein", auch warfen sie keine Felsbocken, sie hießen Gnabry, Lewandowski und Sané - und sie schossen mit Fußbällen aus allen Lagen.
Im Vertragspoker überzeugen beide Spieler, Kingsley Coman erinnert sich an Tipps von Jupp Heynckes und Manuel Neuer stellt einen Bundesligarekord seines Chef ein. Der FC Bayern in der Einzelkritik. Von Martin Schneider
Jetzt erst. Das war eine Besonderheit dieses Spiels zwischen dem Tabellenführer und dem Tabellensechsten der Bundesliga. Dass sich Leipzig den Bayern geschlagen geben musste - knapp, mit 2:3 (1:2), das entsprach dem schnöden Resultat. Aber der Umstand, dass sich Tedescos Mannschaft so lang mit einer mutigen und offensiven Ausrichtung den Bayern entgegengestemmt hatte, das war bemerkenswert.