Myanmars Zukunft ein Jahr nach dem Putsch völlig ungewiss
DW
Vor einem Jahr putschten sich die Generäle in Myanmar an die Macht. Doch wegen des anhaltenden landesweiten Widerstands haben sie nicht die Kontrolle.
Seit dem Putsch am 1. Februar 2021 wurden Tausende getötet, Demonstranten, Widerstandskämpfer, Amtsträger, Soldaten und Zivilisten. Allerdings sind belastbare Zahlen kaum zu erhalten. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation "Assistance Association for Political Prisoners (Burma)", die sich klar gegen das Militärregime positioniert, wurden 1463 "Helden" im Zusammenhang mit dem Putsch getötet (Stand: 13.01.2022). Die NGO "The Armed Conflict Location & Event Data Project" (ACLED) registrierte im vergangenen Jahr auf Basis von Zeitungsartikeln, Berichten von NGOs und aus den Sozialen Medien mehr als 11.000 Todesopfer. 1,6 Millionen Menschen haben seit dem Putsch, so die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in einer Studie von Ende Januar diesen Jahres, ihre Arbeit verloren. Knapp 350.000 Menschen wurden nach UN-Angaben zu Binnenflüchtlingen. Immer mehr Journalisten werden getötet, sitzen in Haft oder verlassen das Land.
Der Myanmar-Experte David Scott Mathieson fasste die Entwicklung in einem Interview der Onlineausgabe der auf Birmanisch und Englisch erscheinenden Monatszeitung "The Irrawaddy" zusammen: "Meiner Ansicht nach ist die aktuelle Situation die schlimmste seit der Unabhängigkeit Myanmars nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Grunde hat das Militär der eigenen Bevölkerung den Krieg erklärt."
Im Gegensatz zu den vergangenen Jahrzehnten, als die Konflikte vor allem zwischen dem Militär, das sich überwiegend aus der ethnischen Mehrheit der Bamar rekrutiert, und den ethnischen Minderheiten ausgetragen wurden, kommt es heute auch im birmanischen Kernland zu heftigen Kämpfen, wie zum Beispiel im zentralbirmanischen Bundesstaat Sagaing. Der bewaffnete Widerstand ist entstanden, nachdem die landesweiten Proteste von Hunderttausenden weitgehend erfolglos blieben.
Dem Militär gelang es mit dem Einsatz massiver Gewalt, die Menschen von den Straßen zu vertreiben, aber die Ablehnung der Militärjunta wurde dadurch eher noch verstärkt. Auch wenn es keine empirischen Untersuchungen gibt, stimmen Beobachter überein, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung die Militärregierung ablehnt. Das zeigt sich auch daran, dass sich im ganzen Land laut dem Militärexperten Anthony Davis rund 50 Volksmilizen ("People's Defense Forces", PDF) etabliert haben, die zum Teil mit Unterstützung der bewaffneten ethnischen Gruppen Anschläge auf Militärpersonal, Polizisten, vermeintliche oder tatsächliche Informanten und Sicherheitseinrichtungen verüben und sich sogar Scharmützel mit der Armee liefern.
Neben den Milizen und der zivilen Protestbewegung bilden die ethnischen Gruppen und ihre Armeen eine dritte Kraft, die schon seit jeher unabhängig bzw. im Konflikt mit der Zentralregierung agieren. Einige von ihnen bieten den Gegnern des Militärs zwar Unterschlupf und Training, bestehen aber darauf, in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Befehlsgewalt zu haben, wie aus einem gerade erschienene Bericht der "International Crisis Group" hervorgeht. Der Bericht weist außerdem darauf hin, dass zwar viele bewaffnete ethnische Gruppen dem Militär feindlich gesonnen sind, die Opposition jedoch nicht offen unterstützen, da der Ausgang des Konflikts ungewiss ist.