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Süddeutsche Zeitung
Die Doku "Cow" zeigt den Alltag einer Milchkuh namens Luma, inklusive Kälbchengeburt. Spoiler: Ihr Leben ist sehr mühselig.
Auge in Auge mit einer Kuh namens Luma, ganz nah dran, am schnaufenden Atem, den sie dampfend durch ihre Nüstern bläst, am laut malmenden Geräusch, mit dem sie das Gras zerkaut, am schweren Trab, mit dem sie auf die Weide stapft. Der Film hat die besondere Fähigkeit, den Zuschauer in Welten mitzunehmen, in ferne Länder, fremde Kulturen, große Abenteuer. Andrea Arnold nutzt sie für einen Ausflug in den Stall und auf die Weide: Willkommen im Leben einer Milchkuh!
Der Film hat auch die Fähigkeit, den Ungehörten und Entrechteten eine Stimme zu geben. Als Randerscheinung des wachsenden Bewusstseins für diskriminierte und ausgebeutete Minderheiten, gibt es nun auch häufiger Filmemacher, die Partei ergreifen für die Belange der Nutztiere. Nachdem sich Victor Kossakovsky in "Gunda" in poetischen Schwarzweißbildern ins paradiesische Bauernhofleben einer Muttersau und ihrer Ferkel eingeklinkt hat, widmet sich jetzt die britische Regisseurin Andrea Arnold auf weitgehend naturalistische Weise der Mühsal einer Kuhexistenz.
In ihrem ersten Dokumentarfilm (beim Streamingdienst Mubi) bleibt die 60-Jährige dem Stil ihrer Spielfilme treu, die auch schon von dokumentarisch gefärbtem Interesse für die sozial Benachteiligten an den Randzonen der Gesellschaft geleitet waren. Nur dass es dieses Mal eben keine alleinerziehende Mutter und kein missbrauchtes Mädchen ist, um die sie sich kümmert, sondern eine Kuh auf einem Milchhof. Und streng genommen könnte man die Kühe sogar als Laiendarsteller bezeichnen.
Vier Jahre lang hat sich die Regisseurin Zeit genommen, immer wieder zu kommen, auf einen Bauernhof in Kent, der keine industrielle Tierhaltung betreibt, sondern ein mittelgroßer Familienbetrieb ist, der die Umgebung beliefert. Da wird der Stall mit Musik bespielt, "Work" von Charlotte Day Wilson, "Mad Love" von Mabel oder an Weihnachten "Fairytale of New York" von den Pogues. Die Bauern, deren Stimmen in der Wahrnehmung der Kuh meist nur als Gemurmel aus der Ferne zu hören sind, nennen sie freundschaftlich "girls", und ab und zu dürfen sie auch raus auf die Weide. Trotzdem ist schnell klar, wie entfremdet von ihrer natürlichen Existenz die Tiere in diesen monotonen Arbeitsabläufen leben, immer im Dienst größtmöglicher Wirtschaftlichkeit. Das mächtige Euter hängt schwer und grotesk vergrößert unter Lumas Bauch.
Gleich in der ersten Szene sieht man Luma, wie sie in einen mit Stroh auslegten Stall geführt wird, zum Gebären eines Kälbchens, das sie mit rauer Zunge sauber schleckt. Aber es ist nur ein kurzer Moment mütterlicher Intimität, denn, während die Nachgeburt noch an ihrem Hintern baumelt, wird ihr das Kalb schon unter Protest weggenommen und an eine Gummi-Zitze geschoben, die ihm unbeholfen aus dem Mäulchen flutscht. Nur kurze Zeit wurde Luma für den Akt der Geburt aus den alltäglichen Abläufen geholt, dann geht es sofort zurück ans Fließband der Milchproduktion.