Monika Helfer „Löwenherz“: Die Jugend von Richard Löwenherz
Frankfurter Rundschau
Monika Helfer erzählt ein weiteres, drittes Kapitel ihres Familienromans.
Auch den neuen Roman von Monika Helfer grundiert der Tod, er ist die Voraussetzung für dieses Buch. „So war mein Bruder Richard“, steht gleich im ersten Satz, und eine Seite später vergleicht die Erzählerin ihn optisch mit dem Musiker und Canned-Heat-Mitglied Alan Wilson, der sich 1970 mit 27 Jahren das Leben genommen hatte. „Richard würde es mit dreißig tun.“ So ist das.
„Löwenherz“ ist das dritte Buch, das die österreichische Schriftstellerin ihrer Familie widmet, auch ausdrücklich steht es vorne im Buch: „für unsere bagage“. Zwischendurch berichtet die Erzählerin: „Nachdem ich Bücher über meine Großmutter und meinen Vater geschrieben hatte“ – also „Die Bagage“ und „Vati“ –, „war ich eine Zeit lang sehr unruhig, da hat Michael zu mir gesagt, ich solle ein drittes Buch schreiben, nämlich das Buch über meinen Bruder.“ Der Mann von Monika Helfer ist der Schriftsteller Michael Köhlmeier, man glaubt Monika Helfer auch im dritten Buch alles aufs Wort, glaubt also auch, genau zu wissen, wer „Michael“ sein muss. Das ist die Macht der Literatur, denn so könnte es zwar sein, aber woher will man das so genau wissen? Die Erzählerin räumt selbst ein, dass sie sich auch Sachen ausgedacht hat, „Löwenherz“ ist ein Roman. Aber wem schenkt man mehr Glauben als einem Roman, und tut man das nicht zu Recht, selbst wenn vielleicht nicht alles genau so war?
Richard ist ein guter Schriftsetzer (er kann nicht wissen, dass es auch diesen Beruf bald nicht mehr geben wird) und freundlicher, gleichmütiger Sonderling. Von außen betrachtet, kommt er einem naiv vor, was kein Werturteil darstellt. Richards naive Malerei wird von Monika Helfer so beschrieben, dass man sofort ein solches Bild sehen will (auf dem Umschlag aber: Gerhard Richter).
Trifft es das Wort Sonderling? Vielleicht „vermerkwürdige“ sie ihn, überlegt die Erzählerin. Andererseits ist es aber auch merkwürdig, dass er mit einem zugelaufenen Hund zusammenlebt, und im Verlauf des Romans auch mit einem Kind, das nicht seins ist. Die Mutter des Kindes hat es bei ihm „untergestellt“. Es hat keinen Namen, bis es am Ende der Geschichte, als sie unerträglich traurig wird, doch einen hat.
Das Buch ist auch die Geschichte von Richard, Schamasch und Putzi als Familie eigener Art. Schamasch ist der Hund, von Richard nach dem babylonischen Sonnengott benannt, nachdem er sich zu ihm bekannt hat. Der Hund sich zu Richard bekannt hat. „Wie bei allem in der Welt“, heißt es an anderer Stelle, „rechnete er (er, Richard) nicht damit, dass jemand erwartete, auch nur die geringste Initiative habe von ihm auszugehen.“ Putzi ist das Kind, das keinen Namen hat, weil die Mutter es bloß als „Putzi“ bei Richard abgegeben hat. Richard ist nicht der Vater, das behauptet auch keiner. Er kümmert sich um das Kind. Es ist keine Initiative, sich um ein hilfloses Wesen zu kümmern, das bei einem abgegeben wird. Initiative wäre: Die Mutter zu finden. Sich ans Jugendamt zu wenden. Zu versuchen, den Namen des Kindes herauszufinden.